173. Kapitel – Wie viele Jahre Einsamkeit ?

Eine Chronik

I. Prélude

Das Jahr 2019 war in Trauer zu Ende gegangen. Freunde waren gestorben – Marc, den ich seit Kindertagen kenne, und Isabelle, unsere Strasbourger Freundin. Was es bedeutet, nun ohne sie weiter in die Zukunft zu gehen, und dass der Abschied für immer ist, wird uns erst nach und nach klar. Der Schlag war plötzlich und überraschend gekommen und hatte uns gänzlich unvorbereitet ereilt.

Meine erste Reaktion ist die übliche: das Schreckliche verdrängen und in Arbeit ertränken. Als ich eines Morgens beim Frühstück wie aus dem Nichts weinend zusammenbreche, ist klar, dass der Tod sich nicht verdrängen lässt.

2020 begrüßen wir zurückhaltend. Wenn das vorhergehende Jahr uns unsere Freunde nimmt – was würde das folgende tun? Ich verbringe die Feiertage im Büro. Elie und Anatol versuchen, zumindest ein wenig Neujahrsambiance aufrecht zu erhalten. Ein paar Wunderkerzen liegen noch im Keller.

Wann wir das erste Mal davon hören, weiss ich nicht mehr. Es muss in einer der ersten Januarwochen gewesen sein, denn ich erinnere mich daran, wie Anatol an einem frühen Samstag im Januar pfeifend auf den Markt geht

I had a little bird, its name was Enza …

Der schaurige Refrain gellt mir bis heute in den Ohren. Damals hoffe ich ich noch, dass das, was sich in China als durchaus ernstzunehmende Krankheit zu entwickeln schien, eben dies auch bleiben würde: eine schwere Grippe, von der die Menschen in China bald geheilt sein würden.

Anatol ist sich da weitaus weniger sicher. Mit zusammengebissenen Zähnen knurrt er Unverständliches, während er das Internet studiert. In China scheinen immer mehr Menschen krank zu werden – und zu sterben. Sorgenvoll sehen wir die Nachrichten im Fernsehen – zunächst noch eine Sorge, wie man sie für andere hat. Dann fragt Elie bang: „Wir können das nicht bekommen, oder?“ Ich schweige. Anatol vertieft sich in seine Lektüre. Heimlich suche ich das Internet nach Informationen ab, wenn die Dinos schlafen. Die Informationen sind entweder Entsetzen erweckend, oder aber von einlullender Beschwichtigung. Was ist richtig? Das Robert-Koch-Institut schreibt auf der Homepage nichts dazu – man muss die Informationen suchen, um dann zu lesen, dass in Deutschland kein Risiko besteht. Auf der Webseite der WHO finde ich gar nichts.

Wieso mich das nicht beruhigt, verstehe ich selbst nicht.

Ende Januar treten in Deutschland – bei Starnberg – Fälle der Krankheit auf. Die Erkrankten haben eine leichte Grippe und erholen sich. Uns fällt auf, dass alle Betroffenen in Quarantäne kommen, man verfolgt sogar einen Kranken bis in seinen Urlaub und holt ihn aus dem Ausland zurück. „Das macht man doch nicht wegen einem Schnupfen !?“ fragt Elie. „Wegen eines Schnupfens,“ korrigiert Anatol. „Nein, wegen eines Schnupfens tut man das nicht.“

Im Büro spreche ich die Sorgen an, die wir hegen. Man guckt mich mit großen Augen an. Niemand sieht ein Problem auf uns zukommen. Die Behörden haben alles im Griff, da braucht man sich nun wirklich keine Sorgen zu machen. Es geht um einen Schnupfen – medial aufgeplustert.

Teilweise schaffe ich es, mich davon zu überzeugen, dass die Leute recht haben. Die Grippe rafft jedes Jahr unzählige Opfer dahin. Das ist nichts anderes. Insgeheim weiss ich, dass es nicht stimmt. Aber was tun?

Wir können gar nichts tun.

Im Fernsehen sehen wir ein Ballett von Baggern, die innerhalb von Tagen zwei Notkrankenhäuser für mehrere tausend Patienten aus dem Boden stampfen, ein gruseliger Tanz… Ende Januar wird die gesamte Region in China unter Quarantäne gestellt. Für einen Schnupfen. Im Internet sieht man Videos der zu Hause eingesperrten Menschen, die sich Mut machen und gemeinsam singen.

„Sowas kann hier nicht passieren, nicht …?“ fragt Elie. Ich schweige wieder. Das Robert Koch Institut sieht keine Gefahrenlage für Deutschland, die WHO zeigt sich ob der Entwicklung in China besorgt.

Anfang Februar 2020 stirbt der junge Doktor Li im abgeriegelten Wuhan an der Krankheit. Er ist 33 Jahre alt. Wir wissen jetzt, dass es sich nicht um einen Schnupfen handelt.

Anatol ist der erste, der ausspricht, was uns klar ist. „Die WHO sagt es nicht, und das RKI auch nicht. Aber ich bin lange genug dabei, um eine Pandemie zu erkennen, wenn ich eine sehe. Dies ist eine. Und wenn kein Wunder geschieht, wird es hier in ein paar Wochen genau so aussehen wie in China. Wir müssen uns vorbereiten. Sofort.“

Wie bereitetet man sich auf eine Pandemie vor? Dazu gibt es auf Youtube kein Tutorial. Anatol und ich gehen nach der Liste des Bundesamts für Katastrophenschutz vor – eine sinnvolle Vorratshaltung soll man immer betreiben, warum also nicht jetzt. Wir stellen eine Liste dessen zusammen, was wir unbedingt brauchen, darunter Tonios Insulin und unsere diversen Medikamente. Unser Leitfaden ist: was passiert, wenn wir mehrere Wochen nicht rausgehen können oder wollen. Die Einkaufsliste ergibt sich fast von selbst.

Die Sorge, die Anatol und ich teilen, und die deutlich weiter geht als die Angst vor der Krankheit, ist die vor dem „danach“. Was passiert, wenn ein auf Hochtouren laufendes, gut geöltes globales Wirtschaftssystem ins Stocken gerät? Wenn die ineinandergreifenden Zahnrädchen des globalisierten Wirtschaftskreislaufs plötzlich wegbrechen – und die ganze, schon heute nicht perfekte Maschinerie zum Stillstand kommt? Ich versuche, diesen Gedanken nicht zuende zu denken. Dennoch ist uns klar, dass das, was da auf uns zukommt, möglicherweise deutlich schlimmer ist als eine böse Krankheit. Ein offenbar von einer Expertengruppe durchgespieltes Szenario titulierte nach Presseberichten diese Eventualität als „den Abgrund“. Näheres hatte die Presse nicht dazu gesagt; wir hätten in jedem Fall dankend auf weitere Informationen verzichtet.

Als Anatol und ich nun Mitte Februar mit unserer Vorratsliste einkaufen fahren, befürchten wir einen riesigen Ansturm. Das Gegenteil ist der Fall. Niemand scheint sich um Vorräte zu kümmern, alles geht seinen gewohnten Gang. Wir kaufen zur Sicherheit diesmal zwei Pakete Klopapier. Man weiss nie. Masken kaufen wir absichtlich keine. Wir wissen, dass es davon für Ärzte, Schwestern und Pfleger zu wenig gibt. Mir reicht ein Schal, und die Dinos haben für den Fall des Falles ihre Tücher.

Am einem Sonntag im Februar besuche ich meine Freundin Mariette. Als ich in die Wohnung komme, begrüßt mich Katze Miesele – Mariette ist vor dem Fernseher eingedöst. Sie freut sich, mich zu sehen und möchte dann ihre Sendung doch weitergucken. Ich bleibe nicht lang und überlasse Mariette dem Vorabendprogramm – ich komme ja bald wieder. Mariette sagt wie immer „Au revoir – si Dieu le veut!„. Er will nicht. Es wird unser letztes Treffen sein.

Die für Ende Februar geplante Dienstreise nach Berlin sage ich ab. Den Kollegen teile ich mit, es sei etwas dazwischen gekommen. Alle anderen fahren selbstverständlich. Ich komme mir im Nachhinein übervorsichtig vor.

Ein längeres Gespräch mit meiner Schwester lässt uns an unserem Verstand zweifeln. Meine Schwester ist fachlich hochkompetent. Sie erklärt uns ganz sachlich, dass jede Grippewelle schlimmer sei als die jetzige Krankheit. Und dass uns die mediale Begleitung offenbar gar nicht gut tue – wir seien im Bias. Sicher hat sie Recht. Sind Anatol und ich hysterisch? Elie kräht fröhlich „Und wenn schon! Ich esse jetzt die Schokobrownies aus dem Notvorrat! Ist doch gut, dass Ihr die gekauft habt.“

Es stimmt. Außer, dass wir jetzt eine Weile nicht einkaufen müssen, ist nichts passiert durch unsere Bevorratung. Doch – wir haben uns uns selbst gegenüber ein wenig lächerlich gemacht. Aber davon stirbt keiner.

Am nächsten Tag werden in Oberitalien mehrere Städte abgeriegelt, dann steht die gesamte Region unter Quarantäne – den Bewohnern wird eine sogenannte Ausgangssperre auferlegt. „Das ist doch illegal!“ wettert eine Freundin am Telephon. „Das dürfen die gar nicht!“

Wir sehen Videos aus italienischen Krankenhäusern, die in unserem so hochentwickelten Europa niemand je gesehen hat. Jedenfalls bei keiner Grippewelle, die ich bisher erlebt habe.

Für den 5. März ist eine weitere Dienstreise geplant, diesmal zu einer Konferenz nach Wien. Reisen ist ganz normal möglich – allerdings sperrt Österreich plötzlich den Brenner für mehrere Züge. Hotels werden unter Quarantäne gestellt – weil Krankheitsfälle auftreten. Meine Dienstreise wird dennoch ohne Murren aufrechterhalten. Ich gebe zu bedenken, dass dies im Falle des Falles bedeuten würde, dass meine „Reise“ sich ggf. um mehrere Wochen verlängert, wenn ich überhaupt dann noch zurückreisen kann. Man sieht mich verständnislos an – wie ich denn auf so etwas komme? Schließlich wird die gesamte Konferenz auf mein Anraten bis auf weiteres abgesagt.

Das Robert Koch Institut sieht weiterhin eine geringgradige Gefährdung, die es in den darauffolgende Tagen auf eine mäßige Gefährdung hochstuft.

Südlich von Strasbourg, in Mulhouse, treten nun gehäuft Fälle der Krankheit auf. Ein Lehrer stirbt daran. Das Robert Koch Institut stuft das gesamte Elsaß jetzt als Hochrisikogebiet ein. Zwei Tage vorher war meine geplante Dienstreise nach Wien noch Normalität. Plötzlich stehen Grenzschließungen im Raum.

Kollegen wehren sich gegen die so empfundene „Krankheitshysterie“ und bestehen auf der traditionellen „Bise“. Am 7. März treffe ich einen Freund zum Mittagessen in der Stadt – der Freund ist fiebrig und hustet ohne Unterlass.

In der Firma kommen Überlegungen zu etwas mehr Homeoffice auf. Ich sorge mich um meine Mitarbeiter. Habe ich mich bei dem Freund angesteckt und gebe das an mein Team weiter? Soll ich mich selbst isolieren? Mir geht es gut.

Am 9. März höre ich den Podcast von Christian Drosten. Er rät eindringlich dazu, Mitarbeiter mit Vorerkrankungen oder Risikofaktoren nur noch im Homeoffice arbeiten zu lassen. Ich denke an zwei Kollegen aus meinem Team und bekomme eine Panikattacke. Tags darauf veranlasse ich, dass alle gesundheitlich Gefährdeten des Teams mit sofortiger Wirkung ins Homeoffice gehen. Die Firma findet das „erstaunlich“, hat aber grundsätzlich nichts dagegen.

Einen weiteren Tag später bin ich krank. Es ist nicht schlimmer als eine böse Erkältung – man rät mir, zur Arbeit zu kommen, dort aber auf Abstand zu den Kollegen zu bleiben. Tests sind in Frankreich nirgends verfügbar, ebensowenig wie Masken.

Ich rufe meinen Freund an, der am Samstag davor so krank war. Er ist nicht erreichbar. Ich versuche es mehrmals, aber er ist nicht in seinem Atelier. Schließlich erreiche ich ihn zu Hause. Er kann kaum sprechen und ist schwer krank. Der Arzt weiss nicht, was er hat. Eine andere Freundin ist ebenfalls sehr krank. Ich versuche, zu arbeiten.

Am darauffolgenden Tag, es ist der 12. März, heisst es, man solle sich aufs Homeoffice vorbereiten. Meine Mitarbeiter sind in heller Aufregung – wie solle das gehen? Und wie lang? Es wird gemunkelt, das Homeoffice könne bis zu einer Woche dauern. Das sei ganz undenkbar!

Am Freitag, den 13. März wird das Arbeiten im Homeoffice für alle Mitarbeiter zur Norm erklärt, und zwar bis auf weiteres, mindestens aber für die nächsten 6 Wochen. Für meine Mitarbeiter ist es ein Schock. Ich lasse eine Messengergruppe einrichten, in der wir alle jederzeit kommunizieren können, wenn gewünscht. Ich bin sowieso ständig erreichbar. Aus dem Büro nehme ich meine Tintenfässer mit. Ich weiss, dass ich sie zu Hause brauchen werde.

Mein engster Mitarbeiter, den ich schon Anfang der Woche ins Homeoffice geschickt hatte, ist nun auch krank. Vor Sorge weiss ich nicht mehr aus noch ein. Was wird aus meinem Team? Habe ich meine eigenen Mitarbeiter angesteckt? Was, wenn… das könnte ich mir nie verzeihen. Anatol und Elie versuchen, mich mit Späßen abzulenken, aber es gelingt nicht.

Meine deutsche Mitarbeiterin und den Referendar schicke ich nach Hause nach Deutschland. Homeoffice kann man von überall aus erledigen. Noch sind die Grenzen offen – aber wie lange?

Am Sonntag, den 15. März sind Kommunalwahlen in Frankreich. Ich kenne kaum jemanden, der hingeht.

Die Angst ist nun angekommen. Menschenmassen stürmen die Geschäfte und Supermärkte, die DM-Läden in Kehl werden vollkommen überrollt. Die Menschen kaufen kopflos alles, was sie finden – und das ist vor allem Klopapier. „10-15 Pakete auf einmal, und dann kloppen sie sich noch um ein weiteres!“ stöhnt Anatol. „Dies spinnen doch…“ Ich schiele auf unsere zwei Pakete. Hätten wir doch mehr kaufen sollen…?

Montag der 16. März ist unser erster Tag im Homeoffice – hier télétravail genannt. Ich rufe alle meine Mitarbeiter reihum an – die Organisation ist gewöhnungsbedürftig. Alle sind pünktlich am Platz. Niemand lässt sich hängen. Ich bin stolz auf mein Team. Aber mein Kollege ist immer noch schwer krank, und es wird nicht besser.

Am Dienstag, den 17. März verkündet der französische Präsident den kompletten Lockdown von ganz Frankreich.

Die Krankheit ist da.

II. Confinement

Der erste Tag des Confinements, der über ganz Frankreich verhängten Ausgangssperre, ist ein wundervoller sonniger Märztag. Ich beginne ihn damit, meine Computerinstallation, die ich des Nachts vor den Katzen in Sicherheit bringen muss, wieder aufzubauen. Mein viel zu kleines 13er MacBook habe ich über das von unserem Referendar irgendwoher organisierte Verbindungskabel an meinen Fernseher angeschlossen und kann über den großen Bildschirm deutlich besser in meine Mails gucken.

Seit langer Zeit gelingt es mir erstmals wieder, ein ganzes Arbeitsdokument an einem Stück zu lesen – und somit zu verstehen – ohne alle 3 Minuten von jemandem unterbrochen zu werden. Das Homeoffice hat definitiv nicht nur schlechte Seiten.

Bang rufe ich nacheinander alle meine Mitarbeiter an. Wenn jemand nicht gleich ans Telephon geht, steigt Panik in mir hoch. Ich selbst bin immer noch krank, Tendenz: es wird schlimmer.

Die Ausgangssperre ist keine totale Quarantäne. Für drei wichtige – lebenswichtige – Bedürfnisse darf man das Haus verlassen: absolut unerlässliche Arztbesuche, Einkäufe von lebensnotwendigen Dingen und zur „körperlichen Ertüchtigung“. Letzteres heisst: man darf eine Stunde pro Tag spazierengehen/joggen, aber nur allein und nur in unmittelbarer Nähe der eigenen Wohnung.

Die Stadt ist so ruhig wie noch nie. Meine sowieso schon sehr verlassene Straße ist totenstill. Wir hoffen, dass sie nur still ist.

Am Mittag des ersten Tages des Confinements öffnet Anatol eine unserer Dosen mit vegetarischem Chili. Wir sehen uns wortlos an. Dies haben wir kommen sehen – seit dem Lockdown in Wuhan im Januar. Dass wir damit recht behalten haben, freut uns nicht eine Sekunde.

Die Dinos finden das Chili unglaublich lecker – ich selbst finde, dass es nur nach Pappe schmeckt. Ich habe rasende Kopfschmerzen und fühle mich unsagbar schlecht. Zum Arzt will ich nicht gehen. Was, wenn ich mich dort mit der Krankheit anstecke? Was, wenn ich die Krankheit schon habe, und meinen Arzt anstecke?

Im Elsaß sind die Krankenhäuser nah am Zusammenbruch. Neue Patienten können nicht mehr versorgt werden, sie werden nach Luxembourg, Deutschland und in die Schweiz ausgeflogen. TGV-Züge transportieren Schwerstkranke in Kliniken, die noch Kapazitäten haben. Die Armee baut ein Feldlazarett bei Mulhouse auf, um weitere Patienten zu versorgen. Es wird gemunkelt, Menschen über 80 würden gar nicht mehr behandelt. Wir wollen so etwas nicht glauben.

Ich warte noch einen Tag ab, dann geht es mir so schlecht, dass ich doch zum Arzt fahre.

Mein Hausarzt, der bisher – wiewohl selbst Chinese – von der „ganzen Krankheitsgeschichte“ aus China nicht viel wissen wollte und die Sache für aufgebauscht hielt, empfängt mich in voller Schutzmontur. Kittel, Maske, Desinfektionsgel – er nennt es Weihwasser und verwendet es für alles, womit er mich berührt. Ich bin froh, dass er für mich Zeit hat. Er attestiert mir eine gemeine Nasennebenhöhlenentzündung, verschreibt Antibiotika und entlässt mich zurück ins Homeoffice. Ursache meiner Beschwerden sei vermutlich ein schnöder grippaler Infekt. Nichts Ungewöhnliches!

Meine junge Mitarbeiterin ruft mich an. Sie hustet und bekommt keine Luft. Ich erschrecke in einem noch nie dagewesenen Maße. Ein Test kann nicht gemacht werden – wozu auch – denn es gibt keine Tests. Meine Mitarbeiterin soll sich zu Hause ausruhen, und den Arzt anrufen, falls es schlimmer wird. Mehr kann nicht getan werden.

Von anderen Kollegen heisst es, sie haben die Krankheit und befänden sich im Krankenhaus. Wie schlimm es ist, weiss niemand.

Mariette, die alte Dame, ist gestürzt. Sie hat Schmerzen und wird vom Hausarzt ins Krankenhaus überwiesen. Die Sanitäter, die sie in die Klinik bringen sollen, attackiert sie mit ihrem Stock. Sie will nicht ins Krankenhaus. Ich selbst liege mit Fieber und starken Kopfschmerzen darnieder und kann nicht helfen.

Ich schaffe es nur, Katze Miesele, die allein in der Wohnung zurückgeblieben ist, vor der weiteren Verschärfung des Lockdowns, die wenige Tage später ausgerufen wird, mit dem Fahrrad zu einem Freund zu bringen. Miesele will nicht weg aus ihrer Wohnung. Ich bin sicher, dass sie bald zurück darf – wenn Mariette wieder da ist.

Im Krankenhaus wird Mariette zunächst attestiert, dass sie bei ihrem Sturz nichts gebrochen habe. Das zeige das Röntgenbild. Sie bleibt dennoch zur Beobachtung dort. Am nächsten Tag heisst es, ihre Hüfte sei gebrochen, zudem habe sie die Krankheit. Ein Besuch ist nicht möglich. Ich kann im Krankenhaus auch niemanden anrufen. Die Isolierstation, auf der Mariette untergebracht wird, ist vollkommen überlastet.

Alles, was wir noch hören, ist, dass Mariette mit niemandem mehr kommunizieren will.

Am 22. März kommt der Anruf. Mariette ist am Sonntagnachmittag an der Krankheit gestorben. Sie hat nie mehr einen bekannten Menschen gesehen. Es wird sie auch nach ihrem Tod niemand mehr sehen oder Abschied nehmen. Wie so viele Menschen ist Mariette allein gestorben und dann ebenso eingeäschert worden. Ein Beisetzung hat es bis heute nicht gegeben.

Das Einzige, was ich noch für Mariette habe tun können, ist es, eine neue Familie für ihr Miesele zu finden.

172. Kapitel – Das Drama mit den Daten…

Hastig eilt Elie nach der letzten Schulstunde die Treppe herauf in den 4. Stock. Der Schulranzen fliegt in die Ecke, die Jacke verfehlt ihr Ziel am Haken über der Tür – aber Elie hat keinen Blick dafür.

Atemlos keucht er: „Schnell! Mach das Internet an! Der Blog ist in Gefahr! Oder besser: der Blog IST eine Gefahr!“

Stirnrunzelnd sehe ich den kleinen Saurier, der sichtlich in Panik ist, an. „Elie, was ist los? Hat jemand den Blog gehackt…?“ Besorgt knipse ich das Laptop an, das bisher unbehelligt im Regal gelegen hat.

„Nein, gehackt wurde nichts – jedenfalls noch nicht! Es sind nur diese Daten! Davor müssen wir den Blog schützen! Sonst müssen wir Geld bezahlen – viel Geld! Irgendwie ist es für den Blog an bestimmten Daten gefährlich, aber ich weiss nicht wann! Oder doch –  Angelo hat es gesagt: am 25. Mai! An diesem Datum werden sie gefährlich, und davor müssen wir uns und den Blog schützen!“

Anatol hört für einen Moment auf, in seinem Ratatouille zu rühren. Er legt den Holzlöffel weg und stemmt die Hände in die Hüfte. Vorwurfsvoll meint er zu Elie: „Ich verstehe nichts von dem, was Du da erzählst, Elie. Gibt es auch eine verständliche Fassung?“

Elie beginnt zu stammeln. „Nein, ich habe es ja selbst nicht verstanden! Ich hatte gehofft, dass Ihr damit etwas anfangen könnt und dann wisst, was wir tun müssen. Angelo hat ein Referat gehalten, über diesen Datenschutz! Ich habe die ganze Zeit an Anna gedacht, und habe die erste Hälfte des Referats nicht mitbekommen. Nur gegen Ende habe ich wieder etwas zugehört, denn da hatte Anna eine Frage gestellt, und ich wollte die Antwort unbedingt verstehen, damit ich später mit ihr drüber sprechen kann – aber ich habe gar nichts kapiert… es ging um so technischen Kram mit Internet und IP und Plugs und das alles. Da habe ich keine Chance… aber dass uns hohe Strafen wegen des Blogs drohen, das habe ich verstanden! Vielleicht kommen wir sogar ins Gefängnis?“

Betrübt sieht der kleine Saurier zu Boden. Er ist kein Technik-Freak, das ist eine Tatsache.

Anatol nimmt den Löffel wieder an sich und rührt mit stoischer Gelassenheit weiter in seinem Schmortopf. „Na, das wird schon nicht so schlimm sein. Susanne hätte uns das sicher gesagt, wenn es für uns oder den Blog gefährlich wäre. Schließlich arbeitet sie den ganzen Tag im Büro an diesen Dingen. Wenn sie nichts gesagt hat, wird schon alles gut sein.“

Ich räusperer mich. Siedend heiss fällt er mir ein – unser Blog. Nachdem wir seit Monaten mit Chef und Kollegen im Büro daran arbeiten, unsere Webseiten in Ordnung zu bringen, Register einrichten und Datenschutzerklärungen verfassen, ist mir unser kleiner privater Blog ganz entfallen. Es stimmt: auch dieser muss bis zum 25. Mai datenschutzklar gemacht werden, sprich an die Anforderungen der gestrengen Datenschutzgrundverordnung angepasst werden.

„Das kann gar nicht sein!“ zetert Anatol. „Wir verkaufen doch nichts, und der Blog ist einfach nur zum Spaß da! Wie sollen wir da irgendwelche Datenschutzgeschichten beachten? Wie geht das überhaupt?“

Ja, wie geht das überhaupt. Diese Frage ist berechtigt, denn anders als im Büro steht mir beim Blog kein Technikerteam zur Verfügung, das mir erklären kann, welche Anwendung welche Datenschnipsel sammelt, und wie man das gegebenenfalls abstellen kann.

Unser Blog wird von WordPress gehostet, und WordPress verdient damit Geld – mit der Werbung, die ab und zu in unserem Blog geschaltet wird. Leser können Kommentare hinterlassen, Artikel „liken“ oder sie in den sozialen Netzwerken teilen. Wir verdienen damit zwar nichts, aber das ist der Datenschutzgrundverordnung egal. Denn beim Kommentieren, „Liken“ oder Teilen werden persönliche Daten hinterlassen – und an WordPress und die sozialen Netzwerke weitergegeben, und das ist für die neue Verordnung ausschlaggebend. Zudem nutzt WordPress diverse „Tools“, wie ein Antispam-Tool, eine Statistik-Software und Plugins (von denen ich nicht einmal weiss, wozu sie dienen…).

Wie sollen wir es schaffen, all dies technisch zu durchdringen und dann mit den korrekten Datenschutzerklärungen zu versehen … ich seufze und schlage die Hände über dem Kopf zusammen.

Anatol hat indessen den Deckel auf den Schmortopf geworfen und ist von der Küchenzeile gesprungen. Mit einem Satz ist er vor dem Laptop und ruft den Blog auf.

„Ich gehe jetzt auf die Suche. Irgendwo im Internet werden wir schon eine Anleitung finden, um den Blog datenschutzsicher zu machen!“

Als erstes weise ich den Saurier an, die Kommentarfunktion und die Social Media-Buttons zu deaktivieren. Ob das geklappt hat, werde ich in Kürze kontrollieren.

Elie hat indessen einen wunderbaren Vorwand gefunden, um mit Anna zu telephonieren: er braucht dringend Nachhilfe im Datenschutz, und Angelo kann er nicht fragen – der ist ja viel zu beschäftigt…

Nachtrag: wir haben die Kommentarfunktion und die „Likes“ wieder eingebaut. Ein Blog ohne Kommentarmöglichkeit ist kein Blog! Aber wir haben bei WordPress nachgefragt, wie man diese leidigen IP-Adressen loswird, die automatisch gespeichert werden, obwohl wir das ausdrücklich nicht wollen … wir halten Euch auf dem Laufenden.

171. Kapitel – Wenn Mogelpäckchen nicht ankommen…

Es ist zwar schon etwas spät dafür, aber wir möchten Euch den weiteren – durchaus extravaganten – Fortgang unserer Weihnachtspäckchengeschichte nicht vorenthalten!

Nachdem Anatol und ich – schäumend vor Wut ob der doppelten Bezahlung des Portos für das Paket – die Deutsche Post verlassen hatten, waren unsere Päckchen ihrerseits auf Reisen gegangen. Längere Zeit hörten wir nichts von ihnen – bis mehrere Dankeskärtchen von unseren Feinschmeckerfreunden hier eintrudelten: die Bredele waren gut angekommen, in jeder Hinsicht! Und so war unsere Wut über die Porto-Affäre verraucht, der Ärger hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Doch … haben auch alle Empfänger ihr Geschenk erhalten? Von meiner Dresdner Familie ist keine Antwort gekommen. Im Weihnachtstrubel kein Wunder… als Elie aber zum 1. Januar Neujahrswünsche überbringt, fragt er treuherzig nach, wie denn die Strasbourger Bredele geschmeckt hätten – und erntet verständnisloses Kopfschütteln. Welche Bredele? Ein Mennele? Nein – die seien nicht angekommen.

Weinend legt der kleine Saurier auf. „Unser Geschenk ist verschwunden! Sie haben es nicht bekommen… Jetzt glauben Jakob und Elisabeth, wir hätten zu Weihnachten nicht einmal an sie gedacht!“

Ich zucke zusammen. Das sogar doppelt bezahlte, voller feinster Leckereien steckende Päckchen! Das Mennele, und die Ingwerlebkuchen! Es schmerzt, sich vorstellen zu müssen, dass all die Näschereien im Nirvana der Deutschen Post untergegangen sein sollen!

Anatol schreit vor Wut auf. „Die haben meine Bredele geklaut! Wo ist der Kassenzettel der Post? Da muss doch eine Nummer draufstehen, womit die das suchen gehen können. Wo hast Du diesen dämlichen Zettel hingelegt?!“

Mir wird heiss. Der Kassenzettel von Anfang Dezember letzten Jahres … der ist im Altpapier. Minimalismus- und KonMari-Ordnung fordern, solche Überbleibsel käuflicher Aktivitäten unverzüglich dem Wertstoffrecycling, sprich: dem gelben Sack, zuzuführen – was auch geschehen ist.

Immerhin steht der gelbe Sack der letzten Wochen noch unten im Hausflur zur Abholung durch die Müllabfuhr. Ist der Zettel dort vielleicht doch noch zu finden? Anatol taucht kopfüber in den Papierpfuhl ein, rudert verzweifelt darin herum, wirft Schnipsel heraus … nach einer Viertelstunde fieberhafter Suche ist klar: der Zettel ist nicht mehr da.

Einen Verzweiflungsschrei ausstoßend verlässt Anatol den gelben Sack. „So ein verfluchter Mist!“ heult er. „Dabei haben wir uns so eine Mühe gemacht…“

Ich nehme mir vor, der Deutschen Post in Kehl demnächst einen Besuch abzustatten und mich eindringlich zu beschweren. Allerdings verliert sich auch dieses Vorhaben in Arbeitsstress, den Haushaltspflichten der Butler und unserer Sorge um den kranken Kater Tonio. Die Post hört also nicht weiter von uns.

Indessen steht im Frühjahr der Geburtstag meiner Schwester in Dresden an. Diesmal gehe ich ohne die Butler in die Biscuiterie, erstehe ein frühlinghaftes Kästchen voller Leckereien und schicke es – mitsamt Versicherung und Sendungsverfolgung – zu einem astronomischen Preis über die französische Post nach Dresden.

Den Sauriern bringe ich das Zettelchen mit der Sendungsverfolgung mit, welches den beiden erlaubt, stündlich genau zu ermitteln, wo das Päckchen sich gerade befindet. Jedenfalls diesmal soll unser Geschenk ankommen!

Punktgenau zum Geburtstag treffen die guten Dinge ein – wir bekommen sogar ein Photo zum Nachweis! Fast habe ich das Gefühl, dass die Freude über das Päckchen bei den Sauriern größer ist als bei der Beschenkten. Ich freue mich mit. Bei einem kurzen morgendlichen Geburtstagsanruf wird das verlorene Weihnachtspaket noch einmal erwähnt: es ist tatsächlich nie angekommen und auch nicht zurückgeschickt worden. Aber Ersatz ist nun da!

Als ich mittags von der Arbeit nach Hause komme und wie jeden Tag den Briefkasten öffne, liegt dort ein Paket. Wer hat uns denn etwas geschickt…? Ich nehme das Päckchen und traue meinen Augen nicht: es ist das Weihnachtspaket an die Dresdner, das zwei Monate nach seiner Absendung den weiten Weg nach Strasbourg zurückgefunden hat – und zwar am eben dem Tag, an dem sein Kollege, das Ersatzpaket, in Dresden eingetroffen ist.

Ein in knappem Behördendeutsch gehaltener Aufkleber prangt auf dem Päckchen: „Auslieferungsvermerk! Der Empfänger war nicht zu ermitteln: Gebäude/Hausnummer unbekannt!“ Darunter in Rot der Befehl: „ZURÜCK! Ausland – Frankreich.“ Eine kurze Kontrolle der Adresse sagt mir jedoch: diese hatten Anatol und ich völlig korrekt auf das Päckchen geschrieben.

Ich springe die vier Stockwerke hoch, so schnell es nur geht – und zeige das Wunderwerk postalischer Zustellungskunst zwei völlig verdatterten Sauriern.

„Das machen wir jetzt auf!“ ruft Anatol. „Ja – und dann essen WIR alle Plätzchen! Juhu!“ jubelt Elie. „Sind die Sachen überhaupt noch gut…“ wage ich einzuwerfen. „Die sind gut bis Mai!“ triumphiert Anatol. Schmecken tun sie, als hätten wir sie heute erst gekauft. Und wir essen Weihnachtsplätzchen auch im Februar noch sehr gern.

Die Wege der Deutschen Post sind unergründlich. Wenn man etwas Zeit hat, darf man sich aber durchaus auf sie verlassen.

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aufgegeben am 14. Dezember 2017 – zurück am 12. Februar 2018

 

 

 

 

 

170. Kapitel – Alle Jahre wieder …

Von Weihnachsplätzchen, Postpaketen und Mogelpackungen

Die Adventszeit ist da. Unser Weihnachtsbaumverkäufer hat wie jedes Jahr an der Straßenecke seine Bäume aufgestellt; in den Nachbarswohnungen prangen in Erwartung der fêtes de fin d’année festlich geschmückte Christbäume. Die Plätzchenbäckerei hat begonnen: im Büro dürfen wir jeden Tag neue Leckereien schnabulieren – sehr zum Verdruss der Betriebsärztin, deren mißmutige Waage das stetig anwachsende Gewicht der Mitarbeiter ans Licht bringt. Das Ansinnen der Ärztin, den mittäglichen Nachtisch in der Kantine zu streichen und durch grünen Salat zu ersetzen, konnte indessen – bisher – nicht in die Tat umgesetzt werden, zu stark war der ausnahmsweise geeinte Widerstand von Belegschaft und Direktion.

Weihnachtliche Versuchung findet sich aber auch außerhalb des Büros im ganzen Viertel:  Coop und Bäckerladen sind weihnachtlich dekoriert – schneebepuderte Weihnachtsmänner mit ihren roten Mützen, Schlitten und Rentieren in den Läden mit von Bredele überborden Regalen zeigen: an Weihnachten kommt in der Capitale de Noël niemand vorbei.

Einzig die Kirschbäume, die unsere Straße säumen, sagen uns, dass ihnen Weihnachten vollkommen egal ist: sie stehen seit Anfang Dezember in voller Blüte – Klimawandel oblige

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Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: was verschenken wir zu Weihnachten…?

Was wir uns wünschen, ist hingegen schnell gesagt: Nichts. Wir haben alles (und davon noch zu viel) und würden uns eher wünschen, dass man uns diverse Dinge abnimmt … allerdings kann man von niemandem, den man mag, verlangen, zu Weihnachten zum Ausmisten zu kommen. Anatol, Elie und ich behalten diesen Wunsch daher für uns.

Mit meiner Familie ist zum Glück schnell geklärt, dass wir eine Geschenk-Diät einlegen. Geschenke? Gibt es nicht! Nur die Kinder sollen natürlich nicht leer ausgehen; hier hat Anatol schnell ein paar spannende Bücher ausgesucht.

Nachdem also das Geschenkeproblem nachhaltig gelöst ist, reibe ich mir fröhlich die Hände und rufe: „Kein Geschenk-Stress, Anatol! Ist das nicht großartig?“

Der Saurier sieht griesgrämig von seinem Regalbrett auf mich hinunter. „Dein Minimalismus ist ja schön und gut, aber für mich gehören Geschenke zu Weihnachten. Man kann doch die Leute nicht einfach um ihre Weihnachts-Päckchen betrügen! Schließlich hast Du ja auch schon eines bekommen! Mit Deinem Adventskalender! Und denk nur mal an Deine Tante! Der wolltest Du doch schon lange etwas schicken…!“

Verschämt erinnere ich mich an die Freude, die mir der Adventskalender wie jedes Jahr bereitet hatte. Und meine liebe Tante … sicher würde sie sich über eine Kleinigkeit freuen. Nur was soll man schenken …?

Elie hat die zündende Idee: „Warum verschickst Du nicht was von den leckeren Weihnachtsbredele? Die sind absolut minimalistisch und verbrauchen sich wie von selbst im Handumdrehen – wir haben es ja schon ausprobiert! Vielleicht können wir sie sogar selber backen?“

Anatol verwehrt sich gegen die Idee des „Selber Backens“. „Ich habe schon so genug zu tun,“ zetert er.

In Wahrheit hat er Angst, die Bredele könnten missraten und bei den Beschenkten kein hundertprozentiges Wohlgefallen hervorrufen. Daher entscheide ich kurzerhand, dass die Bredele selbst gekauft werden, und zwar bei der Maison alsaciennce de biscuiterie. Dort gibt es nicht nur köstlichste Plätzchen und andere Leckereien – diese werden zudem in praktischen und hübschen Blechbüchsen verpackt, die man später für eigene Kreationen weiterverwenden kann.

Mit Anatol fahre ich in die Biscuiterie – schnell haben wir diverse Keksdosen mit feinstem Inhalt erstanden. Um der Versuchung, gleich selbst davon zu probieren und die Geschenke zu sehr zu dezimieren, nicht zu erliegen, entscheiden wir uns, noch am selben Nachmittag zur Post nach Kehl zu fahren und alle Päckchen dort unverzüglich aufzugeben.

Hierfür brauchen wir indes etwas Verpackungsmaterial: Päckchen oder Kartons habe ich immer im Keller vorrätig.

Hattest Du vorrätig,“ korrigiert mich Anatol. „Du erinnerst Dich: im Zuge Deiner minimalistischen Ausmist-Aktionen musste ich alle Kartons und auch die dicken Umschläge entsorgen. Die sind alle im Papiermüll gelandet. Ich hab ja noch gesagt damals…“

Ich fluche. Es stimmt: ich selbst hatte gegen den erklärten Widerstand des Sauriers angeordnet, alle Verpackungen wegzuwerfen, da meist doch nicht der benötigte Pappkarton in der passenden Größe dabei war, und die Karton-Sammlung viel Platz wegnahm.

Nun müssen also neue Umkartons gekauft werden – gegen einen kleinen Aufpreis bekommt man diese bei der Post. Wir brauchen uns also keine Gedanken um die Verpackung zu machen. Schwer beladen brechen wir in Richtung Kehl auf.

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Im Niemandsland zwischen Strasbourg und Kehl werden wir mit unserer wertvollen Ladung fast weggeweht: es stürmt!

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Alsbald erreichen wir unser Ziel: die Deutsche Post in Kehl. Mit unserem Fahrrad parken wir bequem direkt davor.

Gleich im Eingangsbereich begrüßen uns diverse Geschenk-Pakete zum Auffalten: ich nehme mehrere an mich. Das Beste: im Preis ist das Porto schon enthalten! Wir müssen also nur noch die Geschenke in die Päckchen hineinlegen, das Ganze mit etwas mitgebrachtem Zeitungspapier ausstopfen, alles zukleben, adressieren und bezahlen. Einfacher geht es nicht!

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Anatol ist mir behilflich, und nach kurzer Zeit ist alles verpackt. Nun fällt mir auf, dass ein Geschenk im falschen Paket ist.

Seufzend reisse ich die Päckchen wieder auf und tausche den Inhalt aus. Das eine Päckchen ist etwas größer; hier müssen auch die Adressen ausgetauscht werden, sonst passt es nicht. Anatol überklebt die Adressen einfach mit einem Paketzettel.

Nachdem alles im jeweils richtigen Karton ist, stellen wir uns an der Schlange vor dem Schalter an.

Der freundliche Postmitarbeiter runzelt die Stirn, als er die von uns bearbeiteten und überklebten, portofreien Päckchen einscannen will.

„Ja, so kann ich das nicht annehmen,“ sagt er mit bedauerndem, leicht vorwurfsvollem Ton. „Sie haben das Adressfeld überklebt. Damit ist das Päckchen entwertet.“

Ich sehe ihn verständnislos an. Anatol verkriecht sich derweil tief in meinem Rucksack.

„Das Päckchen braucht jetzt noch Porto,“ erklärt der Mann.

Ich weise ihn entsetzt darauf hin, dass das Porto im – stolzen – Preis des Päckchens bereits enthalten ist!

„Ja, normalerweise.“ Hartnäckig bleibt der Postmann bei seiner Meinung. „Aber durch das Überkleben des Adressfelds wird das Porto hinfällig. Sie müssen es noch einmal bezahlen. Sonst kommt es nicht an. Das steht übrigens auch auf dem Paket.“

Meinen verzweifelten Hinweis, dass ich mit dem Vorhandensein von „Kleingedrucktem“ zur Nutzung eines Pappkartons nicht rechnen konnte, versteht der Mann. Daran, dass ich doppelt Porto zahlen muss, kann er allerdings nichts ändern. Ein Versuch, das überklebte Originaladressfeld freizulegen, scheitert: der Strichcode ist zerfleddert und kann nicht gelesen werden.

In Rage knalle ich das Geld für diese unsägliche Mogelverpackung auf den Tresen und verlasse in überhaupt nicht festlicher Stimmung die Post. Meine Weissglut braucht bis zur Trambrücke, um etwas herunterzukühlen. Von Anatol höre ich bis zu den Rheinfischern gar nichts.

Gewisse minimalistische Tendenzen werden wir überdenken müssen. Die alten Pappkartons werden jedenfalls in Zukunft zumindest bis Weihnachten aufgehoben!

 

169. Kapitel – Heute ist Wahl!

Wir haben schon gewählt:

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Auf die Ergebnisse sind wir gespannt. Sicher sind wir nur bei einem: Elies grüne Wunschregierung unter Leitung von Angela Merkel wird wohl in den nächsten vier Jahren keine Realität werden.

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Also: wählen gehen!

Es ist leider nicht überall auf der Welt selbstverständlich, dass man wählen darf.

168. Kapitel – Zwei Luchse aus Strasbourg gerettet!

Gestern hat Anatol es auf Facebook gelesen – die beiden Strasbourger Luchse, Charlie und Catrina, die seit zwölf Jahren ein trauriges Dasein in einem kleinen Beton-Freigehege im Zoo der Orangerie fristeten, sind FREI: Zwei Luchse gerettet!

Wir sind überglücklich, denn seit Langem sehen wir unsere beiden Freunde in einer für sie gar nicht artgerechten Umgebung auf kahlem Steinboden vegetieren.

Nun sind sie vorerst zur Eingewöhnung auf 500m2 Natur untergebracht. Später sollen die beiden im Bärenpark in das 1,3 Hektar große Waldgebiet entlassen werden.

Vorher muss Charlie aber etwas abnehmen. Er hat sich mit seinen 30 Kilo etwas Übergewicht angefuttert.

Anatol, Elie, Pelle der Luchs und ich wünschen den beiden Pinselohren alles Gute in ihrer neuen Heimat im Schwarzwald!

167. Kapitel – Pulse of Europe

In seiner Lamentatio hat Anatol es bereits geschrieben: wir machen uns Sorgen über den Zustand der Welt – und unseres Landes. Was können wir tun?

Welches Land ist „unser“ Land? Anatol und Elie stammen aus Italien. Ich aus Deutschland. Wir leben in Frankreich. Unsere Freunde sind Franzosen, Italiener, Deutsche, Portugiesen, Engländer… Wir leben gern mit ihnen zusammen und möchten keinen von ihnen missen.

Unser Land ist Europa. Und Europa geht es nicht gut. Täglich lesen wir in den Zeitungen und hören im Radio, dass Europa auseinanderbricht. England ist schon weg… welches Land ist das nächste?

Es macht uns Angst, wenn wir sehen, wie an unserer Lebensgrundlage genagt und darauf herumgehackt wird – so als wolle „man“ (aber wer ist „man“?) sie vernichten.

Europa bedeutet seit 70 Jahren Frieden und Freiheit. Wir können mit dem Erasmus-Programm an europäischen Universitäten studieren, wir können in einem anderen europäischen Land arbeiten und überall dort mit dem gleichen Geld bezahlen.

Sicher könnte vieles besser sein. Manches läuft suboptimal. Aber die Grundlage Europas sind die Menschenrechte, Völkerverständigung und Frieden. Das ist mehr, als viele andere Staaten von sich sagen können.

Anatol, Elie und ich finden, dass es sich lohnt, für Europa einzustehen. Und zu zeigen, dass wir nicht tatenlos zugucken, wie unser Europa zerredet und zerrupft wird.

Deshalb sind wir letzten und diesen Sonntag zur Pulse of Europe-Demo am Place Kléber gegangen, um für Europa zu demonstrieren. Pulse of Europe ist eine Bürgerbewegung, die von keiner Partei abhängig ist. Gegründet wurde sie von deutschen Juristen – all das kommt uns sehr entgegen.

Vive l’Europe!

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166. Kapitel – Der Müllsheriff goes Wurmkompost I

Es ist soweit! Ungeduldig haben wir auf ihn gewartet – nun ist er endlich angekommen:

Unser Wurmkomposter!

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Ihr erinnert Euch: Anatol hatte bereits vor längerer Zeit angekündigt, der Müllmisere, die er nicht länger zu ertragen bereit ist, den Kampf anzusagen. Joghurtbecher, in Plastik eingeschweisstes Obst oder Gemüse, Verpackungen jeglicher Art hat der selbsternannte Müllsheriff bereits aus unserem Leben verbannt: Anatol schickt mich nur noch mit Jutebeuteln und Glasbechern bewaffnet zum Einkaufen auf den Markt und zu Day by Day, unserem verpackungsfreien Laden. Sein Motto: „Was verpackt ist, kaufen wir nicht!“

Zwar habe ich es geschafft, doch heimlich das eine oder andere verpackte Produkt, auf das ich nicht verzichten mag, hinter dem Rücken des argwöhnisch jeden Einkauf überprüfenden Sauriers einzuschmuggeln; dennoch stehe ich natürlich hinter den Anstrengungen des Butlers, zumindest den Müll zu vermeiden, den wir nicht produzieren müssen.

Die letzte verbleibende Müllbastion sind – oder vielmehr: waren! – unsere Bioabfälle. Es gibt bei uns keine braune Tonne, und wenn es sie gäbe, würde ich sie – sogar gegen den Widerstand des Butlers – boykottieren. WG-Erinnerungen aus den späten 80er Jahren lassen mich noch heute erschauern: damals hatte jeder von uns in seinem WG-Zimmerchen eine eigene kleine „braune Tonne“. Bei sommerlichen 35°C im 9 qm „großen“ Dachgeschoßzimmer wurde das Bioabfall-Gefäß alsbald zur grauenerregenden Fliegen- und Fäulniszucht. Der damit einhergehende, hier nicht näher zu beschreibende Geruch, der aus den Zimmern drang, hatte mich dazu bewogen, jegliche Ambition in Richtung „Kompostierung in der Wohnung“ endgültig aufzugeben.

Endgültig…? Nicht ganz!

Anatol ist bei seinen Recherchen zur geruchslosen Kompostierung auf den sogenannten „Wurmkompost“ gestoßen. Dieser verspricht eine völlig gestanksfreie, unkomplizierte Verwertung fast aller Bio-Abfälle des Hauses. Das einfache Prinzip: Kompostwürmer verarbeiten die gesamten pflanzlichen Abfälle des Haushalts in Humus. Der einzige Geruch, der dabei entsteht, ist der frischen Waldbodens – ein Traum!

Nach kurzer Bedenkzeit hatte ich mein Plazet gegeben: ein Wurmkomposter soll her!

Diverse Modelle sind im Handel verfügbar; schnell haben wir jedoch alle Plastik-Konstruktionen verworfen, da das Kompostklima uns dort nicht ideal erscheint (vgl. WG-Erfahrungen).

Den Zuschlag bekommt nach längeren Überlegungen der Keramik-Komposter von wormup.ch – er bietet ein perfektes Wurmklima im Inneren, kühl im Sommer, warm im Winter (die ideale Temperatur für die Würmer liegt zwischen 14° und 25°) – und er schließt nicht luftdicht ab. Zudem sieht er wunderschön aus!

Der Nachteil: wir müssen etwas Geduld haben (es gibt eine Warteliste) und sein Preis ist der Qualität entsprechend: hochwertig.

Heute hat das Warten ein Ende: der Postbote steht mit einem riesigen und recht schwerem Paket vor der Tür, verlangt eine Unterschrift und stellt das Bündel ab. Auch unsere fleissigen neuen Mitbewohner, die Würmchen der Gattung eisenia foetida von wurmidee.de, sind da!

Sofort sollen sie ihr neues Domizil beziehen: den Komposter.

Elie schlüpft lautlos zur Tür hinaus. „Bin bei Anna!“ ruft er uns durchs Treppenhaus zu, als er schon im dritten Stock ist. Obwohl außerordentlich umweltbewusst und ökologiebewegt, hat Elie doch vor Regenwürmern eine panische Angst. Dass auch bei Anna bereits ein Wurmkomposter in der Küche steht, verdrängt er gern.

„Mach das Paket auf!“ zetert Anatol und springt aufgeregt um den riesigen Karton herum. Er kann kaum abwarten, das ersehnte Gerät endlich vor sich zu haben! Vorsichtig schneide ich die Papp-Verpackung auf (diese darf sofort als Wurmfutter weiterverwertet werden, fressen die fleißigen kleinen Helferlein doch in Wasser eingelegten Karton für ihr Leben gern!) und ziehe die schön verarbeiteten Einzelteile unseres Komposters heraus.

Um unerwünschte Interaktionen mit unseren bepelzten Mitbewohnern zu vermeiden, wird der Komposter in die Vorratskammer gestellt. Dort kommt zunächst das Substrat – das ist einfach Erde – mit den Würmchen in die unterste Komposterschale. Darüber legen wir eingeweichte, ausgewrungene Kartonstückchen. Darunter können die Kleinen sich verstecken – was sie auch unverzüglich tun. Im Handumdrehen sind die Winzlinge in der Erde verschwunden!

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Ein erstes Zwischengitter wird auf die Schicht mit den Kartonstückchen gelegt – dann bereitet Anatol das erste Menü für seine neuen Schützlinge vor. Heute gibt es kleingeschnittene Gurkenschale! Diese serviert Anatol sofort.

 

Nun kommt der Deckel auf den Komposter – und es heisst warten. Ich beginne, das Abendessen vorzubereiten; auf den Butler kann ich heute Abend nicht zählen. Nervös hüpft er vor der Vorratskammer auf und ab.

„Meinst Du, sie haben schon was gefressen?“ fragt er aufgeregt.

„Anatol, die Würmer müssen erst mal ankommen. Lass sie in Ruhe. Sie haben eine lange Reise hinter sich und wollen sich ausruhen.“

Seufzend gebe ich etwas Essig und Öl auf die Gurke, die nach Abzweigung des Wurm-Anteils für mich übrig geblieben ist.

Nach 30 Minuten hält Anatol es nicht mehr aus. „Ich will jetzt sehen, ob es ihnen gut geht! Vielleicht fehlt ihnen etwas! Haben sie eigentlich ausreichend Wasser?“ knurrt er mir gereizt zu.

Ich erlaube – nun selbst neugierig geworden – eine kurze Stippvisite im Wurmkomposter, bei der Anatol auch etwas Wasser mit unserer Sprühflasche auf das Substrat sprengen darf.

In der Tat sind etliche Würmchen an die Oberfläche gekommen und tummeln sich in den Kartonstücken. Zzzzzzzssss! Kaum dass das Wasser hineingesprüht wird, schlängeln sie sich in Windeseile in ihr Substrat hinein.

Sprühen werden wir nun jeden Tag ein wenig, denn Trockenheit bekommt den Würmchen überhaupt nicht.

Wir werden über das Befinden unserer fleißigen neuen Mitbewohner natürlich weiter berichten!

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Im Hinterhof des Palazzo Peruzzi

Heute lesen Anatol und Elie ein neues Kapitel im Blog von Leo und Luzi!

Leo & Luzi

Die untergehende Sonne tauchte die Stadt in ein weiches Licht. Unsere vier Freunde warfen noch einen Blick auf den nun weit hinter ihnen liegenden Bahnhof, dessen Dach unter den letzten Sonnenstrahlen aufleuchtete. Dann bogen sie in ein Gässchen ein, von dem sie hofften, dass es sie an ihr nächstes Ziel führen würde: einen Ort, an dem sie etwas Essbares und eine Bleibe für die Nacht finden würden.

Die enge Straße mit ihrem Gewimmel von Menschen, Ladenauslagen, hupenden Autos und knatternden Vespas, die durch das Gässchen eigentlich gar nicht hindurchzupassen schienen, hatte sie sofort verschluckt. Unbemerkt von dem geschäftigen Trubel um sie herum liefen die Freunde weiter und weiter – ja wohin eigentlich?

An einem Torbogen blieb Edwige stehen und spähte in den dahinter liegenden Innenhof. Verwitterte, abbröckelnde Stuckfassaden zeugten von der Pracht vergangener Jahrhunderte. Blumen und Efeu rankten von den Simsen herunter, hier und da wehte ein Wäschestück im leisen…

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165. Kapitel – Elie schreibt ein Gedicht

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Ihr Lieben, heute schreibe ich, Elie, hier! Anatol hat mir die Zugänge gegeben, nachdem ich ihm versprochen habe, das Böhmermanngedicht nicht zu re-bloggen. Obwohl ich das absolut ätzend finde und mir schon gar keine Worte mehr einfallen, um die imperialistische Knebelmentalität anzuprangern, die hier herrscht, werde ich mich doch daran halten. Sonst krieg ich die Zugänge nie wieder und Schimpfe gibts auch. Susanne hatte was von „Knast“ gefaselt – aber im Knast sind wir ja jetzt schon: im Knast unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit!

Ja, ok – wir haben in der Schule was von diesem Immanuel K. gelesen. Ich gebs zu: ich habe nichts kapiert davon, was sicher auch daran liegt, dass er so eine komische, altmodische und verwurschtelte Sprache schreibt. Ob die damals alle so geredet haben?

Nur den Satz von der selbstverschuldeten Unmündigkeit, den hab ich mir gemerkt – der war richtig gut. Beim Mittagessen hab ich es glatt geschafft, Susanne und Anatol damit zum Schweigen zu bringen. Der Mund ist denen offen stehen geblieben, als ich das gesagt habe. Werd ich noch öfter einsetzen!

Aber nun zu meinem Gedicht. Es ist vielleicht nicht so gut wie das vom Böhmermann, leider. Dafür reimt es sich! Und wenn Susanne schon nichts mehr einfällt, was sie hier schreiben will, dann kann ich meiner Phantasie ja mal freien Lauf lassen und mich gleichzeitig bisschen über Susanne lustig machen. Und insgeheim hoffe ich, Anna damit etwas beeindrucken zu können. Gedichte mag sie total – von Goethe und Ingeborg Bachmann und so Leuten. Vielleicht gefällt ihr meines ja auch.

Also hier ist es:

Variationen über die Schreibblockade

Schreibblockade
Barrikade
Alles fade –
Nur Fassade!

Schreibblockade
Satzbrigade
richtig gerade
für die Schublade?

Schreibblockade
Schokolade
Wortscharade
schlägt Chamade
auf der Tastenpromenade

Gnade Gnade Schreibblockade!
Marmelade

Hasstirade
Satzkaskade
Kohlroulade
Alles Alles Maskarade!

Elie, Dichter und Saurier

164. Kapitel – Eine Lamentatio

Geschätzte Leserinnen und Leser, Euch ist aufgefallen, dass in diesem Blog eine irritierende Stille herrscht. Mir, Anatol, ist es jedenfalls nicht verborgen geblieben.

Daher nehme ich selbst die Feder in die Hand und teile Euch mit, warum mein (MEIN !) Blog verödet. Zumindest eine Erklärung ist man seinen Lesern schuldig, finde ich. Nicht so Susanne! Tagaus, tagein klagt und jammert sie: sie habe zuviel Arbeit und keine Zeit für den Blog – keine Inspiration, keinen „Flow“… manchmal heisst es auch hochtrabend, es handele sich gar um eine Schreibblockade.

Papperlapapp! Derlei dient nur dazu, den Anschein einer Professionalität zu erwecken, von der in Wirklichkeit keine Rede sein kann.

Wenn ihr nichts mehr einfällt, hat ihr Arm eine Sehnenscheidenentzündung. Morgen schreibe man aber bestimmt wieder im Blog. Ja, ja.

Faule Ausreden, sage ich. Wie oft habe ich ihr gesagt, sie solle ihre Ideen sammeln, und dann frisch losschreiben! Die Inspiration will erhascht sein! Sie wird sich nicht einstellen, wenn man dumpf und träge vor dem Bildschirm sitzt und sich durch stupide Internetseiten klickt.

Nun muss ich zugeben, dass die Aktualität der letzten Wochen und Monate alles andere als anregend gewesen ist. Als Saurier verfolge ich das Zeitgeschehen von jeher mit großem Interesse – seit kurzem aber vor allem mit zunehmender Sorge. Leider weiss ich, dass der Mensch, seit er im Holozän entstand, an Intelligenz – wenn überhaupt – nicht viel hinzugewonnen hat. Seine Vorliebe für aggressive, psychisch auffällige Alpha-Affenmännchen ist seit diesen weit zurückliegenden Tagen ungebrochen. Zu gern macht er diese zum Herdenführer und unterwirft sich ihnen bereitwillig.

Gerade beobachten wir eine lange nicht mehr dagewesene Konzentration dieser Männchen überall auf der Welt. Wüsste ich es nicht besser, so würde ich darüber lachen. Aus meinen Erfahrungen der letzten Jahrmillionen heraus aber habe ich Angst. Ich fühle mich ohnmächtig – als müsste ich tatenlos zusehen, wie ein unabwendbares Schicksal seinen fatalen Lauf nimmt. Sollten wir es nicht besser wissen? Welches brüllende Alpha-Männchen hat jemals der Welt gut getan? Ich kann mich an keines erinnern.

Elie reagiert auf die neuesten Entwicklungen wie er es auch sonst tut: er geht demonstrieren. Seine Papp-Manifeste, die er – an ein umfunktioniertes Stäbchen vom benachbarten Chinarestaurant angeklebt – in die Höhe hält, sind Sinnbild unserer Ohnmacht. „Keine Macht dem Rassismus“ steht darauf, „Europa = 70 Jahre Frieden“ oder „Rettet Aleppo“. Nebenan werden Tyrannen groß.

Elie weiss nicht mehr, für oder gegen was er noch demonstrieren soll. Es gibt zu vieles, was man anklagen muss. So oft kann er gar nicht demonstrieren.

Gestern hatte Elie das berüchtigte Böhmermann-Gedicht hochgeladen und war schon dabei, es hier im Blog zu veröffentlichen – ein Manifest für Meinungsfreiheit und freie Presse. Susanne hatte das Vorhaben in letzter Sekunde bemerkt und unter einem Entsetzensschrei den Stecker gezogen.

„Willst Du uns alle in den Knast bringen!?“ hatte sie Elie angeschrien.

„So weit ist es nun also gekommen! Hier bei uns!“ hatte Elie geheult – und war weggelaufen.

Nun sind alle Blogzugänge gesperrt und das Passwort mehrfach geändert. Was Susanne nicht weiss: ich kenne das Master-Passwort.

Morgen wählen Österreich und Italien. Ob wir dafür den Fernseher rausholen, wissen wir noch nicht.

Alles Liebe,

Anatol

163. Kapitel – Regentropfen-sonntagsblues

Es ist stockfinstere Nacht, als ein ungewohntes Geräusch mich aus dem Tiefschlaf hochschrecken lässt. Verwirrt sehe ich mich um und versuche einzuordnen, was ich da höre … wie im Dschungel gurrt, piepst und flötet es. Draußen rauscht dichter Regen in die Straßenschluchten.

Wie spät ist es? Schlaftrunken taste ich nach meinem Handy.

Dieses erklärt, heute sei Sonntag, der 18. September, und um nunmehr 5 Uhr 10 sei es Zeit zum Aufstehen. Die Funktion „Schlafenszeit“ habe mich daher wie gewünscht mit angenehmen Vogelzwitschern geweckt.

Stöhnend falle ich zurück auf mein Kopfkissen, während Kater Tonio mich ob der Störung missmutig anblickt. Richtig – die neue Weckfunktion. Hatte ich diese nicht erst für Montag programmiert? Argwöhnisch schiele ich nach dem Butler. Der liegt aber offensichtlich nicht mehr in seinem Nestchen – nun fällt mir auch auf, dass aus Küche und Bad Licht und leise Geräusche dringen. Vielleicht kann ich mich noch ein paar Minuten schlafend stellen?

Ein Klappen und Klicken ertönt, gefolgt von einem lauten Rauschen. Der Butler hat die Waschmaschine angestellt. Was gibt es am Sonntag um Viertel nach 5 zu waschen? Ich stöhne. An Schlaf ist nun nicht mehr zu denken.

Eiligen Schritts betritt der Butler mein Schlafzimmer und klatscht in die Hände. „Aufgewacht!“ ruft das Untier – schon hat es die Bettdecke ergriffen und mir entrissen. „Die kommt gleich als nächstes in die Wäsche!“ kündigt es drohend an. „Raus aus dem Bett!“

Schlotternd vor Kälte – es hat sich offenbar in der Nacht empfindlich abgekühlt – und unter leisem Protest schlurfe ich ins Bad. Dort brennt freundlich die Badezimmerlampe – hier muss ich mich nicht vor Dschungeltieren und einem waschwütigen Saurier fürchten, hoffe ich.

Verstimmt rufe ich dem Butler zu, es müsse doch möglich sein, die große Wäsche innerhalb der Woche zu erledigen – und nicht sonntags um kurz nach 5! Giftig antwortet das Tier, nun offensichtlich in der Küche am Werkeln, in der Woche habe es andere Dinge zu tun – Einkäufe, Gänge zur Post und andere Erledigungen. Diese könne es am Sonntag nicht bewältigen!

Ich enthalte mich einer Antwort. Immerhin stelle ich mit Wohlgefallen fest, dass Anatol sowohl die Katzenklos gesäubert als auch den Katzen bereits zu fressen gegeben hat. Ich gähne, drehe das warme Wasser an und will gerade in die Dusche, da stellt Anatol mir das Radio ins Bad. „Da, damit Du Dich mal informierst, was in der Welt so vorgeht!“ keift er noch, bevor er weiteren Beschäftigungen in der Küche nachgeht.

Gehorsam schalte ich den Deutschlandfunk ein. Geistliche Musik erklingt – aber ich möchte nun lieber Nachrichten oder eine aktuelle Reportage hören. Ich stelle also unsere französische Radiostation France Inter ein, die über die heutige Wahl in Berlin berichtet. Um mich nicht wegen der im Ausland manchmal etwas verzerrt dargestellten deutschen Verhältnisse bereits so früh am Morgen zu ärgern, stelle ich mich schnell unter die warme Dusche, wo sich die Berichterstattung in einen angenehmen Klangteppich verwandelt.

Nach einer mir recht kurz erscheinenden Zeit rieselt erst lauwarmes, dann kühleres und schließlich kaltes Wasser aus der Dusche. Ich stelle das Wasser ab, dann erneut an – es bleibt kalt. Fluchend verlasse ich die Dusche.

„Anatol! Hast Du den Boiler leergeduscht?“ schreie ich, voll verzweifelter Wut. Schließlich habe ich noch Seife im Haar.

Das Untier antwortet umgehend: „Du hattest doch selbst den Boiler umgeschaltet, damit nur noch weniger Wasser erhitzt wird – und die Temperatur hast Du auch runtergedreht.“

Nun fällt es mir wieder ein. Wir hatten kürzlich eine Stromsparfunktion bei dem Boiler eingerichtet – dennoch muss das Saurierbiest heute früh eine geschlagene Stunde unter der Dusche gestanden haben, um das gesamte warme Wasser aufzubrauchen. Ich fluche. So hatte ich mir das Stromsparen nicht vorgestellt!

Ich versuche gerade, meinen Kopf unter dem Wasserhahn am Waschbecken von den Seifenresten zu befreien, als der französische Kommentator ein vermutlich gutes Abschneiden der rechtsextremen Parteien bei der Wahl in Berlin in Aussicht stellt. Meine Laune bewegt sich nun auf ihren Nullpunkt zu – dafür kann der Kommentator nichts. Wütend und mit Seifelauge in den Augen, die höllisch brennt, brülle ich Anatol zu, er solle für heute Abend den Fernseher aus dem Schrank holen und im Wohnzimmer aufbauen. Durch die katzenbedingte Gefährdung des Fernsehgeräts steht letzteres ganzjährig im Schrank und wird nur zu den wichtigsten Gelegenheiten herausgeholt und angeschlossen.

Als ich endlich meinen – nun entseiften – Kopf unter dem Wasserhahn hervorziehen und in ein Handtuch einhüllen kann, sind die französischen Radiomoderatoren beim Zustand der EU angelangt. Ich bin versucht, das Radio auszuschalten – lassen mich doch Berichte über die angeblich in Auflösung begriffene europäische Union regelmäßig in Panik verfallen – da wird ein Beitrag über den Euro angekündigt. Vertrauensselig beginne ich, mich einzucremen und meine Kleider für den heutigen Tag im Geiste zusammenzustellen – nun weiss das Radio zu berichten, dass Wirtschaftspapst Joseph Stiglitz der EU empfiehlt, den Euro am besten ganz abzuschaffen, da er Europa zerstöre.

Ich schlucke… ohne Euro sind Anatol und ich aufgeschmissen! Ich kann mich noch gut an die Zeit vor dem Euro erinnern – jede Woche musste ich Geld umtauschen, um meine Sachen in Deutschland zu kaufen. Es war teuer, zeitaufwendig und erschien im Zeitalter Europas völlig sinnlos. Ich jedenfalls will zu diesen Zuständen nie wieder zurück … Joseph Stiglitz vermutlich auch nicht, aber ihm kann es egal sein: er lebt in Amerika.

Aber nun setzt der Wirtschaftsexperte noch einen drauf: vielleicht könne man Europa noch retten, wenn dafür Deutschland aus der EU austrete.

Meine Geduld an diesem Sonntagmorgen ist zu Ende. Mit einem Wutschrei schalte ich das Radio aus und trampele auf meinem Handtuch herum. Ich will kein Europa ohne einheitliches Geld, und ich will auch kein Europa ohne Deutschland! Ein Deutschland ohne Europa will ich noch weniger.

In Rage knalle ich meine Cremetube zurück auf das Bord.

Dass Stiglitz‘ Ideen, auch die guten, sowieso nie befolgt werden, kommt mir in diesem Augenblick nicht in den Sinn.

Was angesichts der katastrophalen Lage allenthalben aber in 10 oder 20 Jahren aus Europa und uns allen geworden sein mag, darüber darf nicht einmal anzufangen, nachzudenken – um nicht in Depressionen zu verfallen.

In Grabesstimmung verlasse ich etwas später das Bad – bis mir einfällt, dass Anatol gestern bei unserem verpackungsfreien Laden Day by Day die sündhaft teure, köstliche Nuss-Nougatcreme (vegan und ohne Palmöl!) gekauft hatte.

Diese Nuss-Nougatcreme brauche ich jetzt, um wenigstens ein kleines bisschen Aufmunterung zu erfahren. Erfreut ob der leckeren Aussicht betrete ich die Küche – und schreie auf. Was muss ich sehen?

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Schmatzend sitzt das Untier vor einem fast leeren Nougatcremetöpfchen – einen peinlich sauber abgeleckten Löffel vor sich.

Der Saurier hat sich die Creme nicht einmal auf ein Brot geschmiert!

Mir verschlägt es die Sprache. Ich schaffe es nur, zu flüstern: „Anatol, das Glas war gestern noch voll!“

Gut gelaunt leckt sich der Saurier das Mäulchen. „Hat wirklich gut geschmeckt, die Nougatcreme. Du kannst das Gläschen auskratzen – das reicht gerade noch für ein Brot, glaube ich!“ meint Anatol.

„Reicht noch für ein Brot…“, stammele ich und will mich auf den Küchensitz fallen lassen.

„Nein, hier kannst Du nicht bleiben!“ ruft der Sauier. „Ich muss jetzt die Spülmaschine ausräumen und dann die Küche wischen. Aber drüben bei den Katzen ist noch was frei!“

162. Kapitel – Fahrradtour im Achertal

Unsere wunderschöne Fahrradtour im Murgtal letzte Woche war viel zu schnell vorübergegangen. Im Nu war der Tag dahingeflogen. Anatol hatte daher vorgeschlagen, nicht bis zum nächsten Jahr zu warten, sondern noch in diesem Sommer zu einer weiteren Tour aufzubrechen. Dem war nichts entgegenzusetzen – und so hatten wir einen zweiten Fahrradausflug geplant und vorbereitet.

Schon am Vorabend der Radtour hatte Anatol auf der gepackten Fahrradtasche gesessen und wäre am liebsten in der Nacht schon losgefahren. Irgendwann war der Saurier jedoch völlig übermüdet wie ein reifer Apfel vom Baum von seinem Taschensitz heruntergefallen – ich hatte ihn in sein Nestchen setzen und selbst auch endlich schlafen gehen können.

Früh klingelt der Wecker. Der Morgen unserer Achertal-Tour ist gekommen! Schon um 5 Uhr 20 sind Anatol und ich auf, um den Zug in Kehl rechtzeitig zu erreichen. Heute geht es sehr frühzeitig los, um auch nicht eine Minute des großen Tages zu verpassen.

Um kurz nach 8 sind wir Kehl, wenig später in Appenweier. Dass wir noch sehr müde sind, sieht man uns an.

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Als wir in Achern mit unserer Freundin T. zusammentreffen, verkriecht sich Anatol in den Rucksack und schläft augenblicklich ein. Er schafft es noch, zu murmeln „Weckt mich auf, wenn es was zu Sehen gibt!“, dann druselt er ein. Dem Saurier fehlen mindestens 5 Stunden Schlaf.

Da seit dem Frühstück mehrere Stunden verstrichen sind, kehren wir als erstes in einem Café ein und nehmen Laugencroissant und Kaffee zu uns. Eine große Tour kann man nur gestärkt antreten!

Danach brechen wir auf – in Richtung Sasbach/Ottersweier/Sasbachwalden. Der Saurier ist unterdessen erwacht und studiert die Fahrradkarte. Er meldet Zweifel an, ob wir es denn bis nach Sasbachwalden schaffen könnten. Dennoch fahren wir fröhlich pfeifend los – der Weg ist das Ziel!

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Unser erster Stopp ist der Querfeldein-Hofladen in Ottersweier. Hier ersteht Anatol eine Erdbeer-Stachelbeer-Marmelade und mehrere milde Chilis. Diese bekommt der Saurier sonst nur schwer.

Die freundliche Dame vom Querfeldein-Hof sieht es als ausgeschlossen an, dass wir es bis Sasbachwalden schaffen. „Jesses, des is glei bei de Hornisgrinde!“ ruft sie entsetzt aus. „Do gehts steil hoch!“ Sie schüttelt den Kopf, als sie in unsere jetzt schon hochroten Gesichter blickt.

Wir entscheiden, dass wir heute keine sportlichen Höchstleistungen bringen müssen und disponieren kurzerhand um. Der Verlauf der Tour wird leicht korrigiert und soll nun  über Oberachern bis nach Kappelrodeck führen, wo wir das weltberühmte Café Zuckerbergschloss ansteuern wollen.

„Fahren Sie am Kloster Erlenbad vorbei!“ ruft uns die Dame vom Querfeldein-Hof nach. „Das können Sie nicht verfehlen!“

Nach mehreren unangenehmen Steigungen, die wir aber problemlos meistern, fahren wir durch Obsthaine und Streuobstwiesen. Wie aus dem Nichts kommt eine schlanke, ganz nackte Katze auf uns zu. Eine Art Sphynx – was tut sie hier? Bevor ich noch herausfinden kann, ob das Tier sich wohl inmitten der Natur verlaufen hat, ist die grazile Gestalt schon wieder im tiefen Gras verschwunden. Meine Rufe verhallen ungehört. Das Tier scheint zumindest von uns keine Hilfe zu erwarten. Vermutlich genießt es gerade nur den Freigang in den Streuobstwiesen.

Wir fahren weiter. Bald ist es 13 Uhr – und Zeit für unser Picknick!

Nun erreichen wir Kloster Erlenbad. Hier bietet sich ein wunderbares Picknick-Plätzchen im Schatten, welches der Saurier sofort für uns reklamiert. „Hier bleiben wir!“ befiehlt er. Jede Widerrede verbietet sich.

Während wir entkräftet und müde auf der Bank sitzen und unsere schmerzenden Glieder strecken, packt der Saurier das Picknick aus und tischt wahre Köstlichkeiten auf.

Hungrig stürzen wir uns auf die Leckereien. Der Saurier sorgt dafür, dass alles gut erreichbar ist und wir ohne große Verrenkungen ganz bequem an die Delikatessen kommen. Fast könnte man unseren Picknickplatz als das Schlaraffenland bezeichnen!

Ein hässliches „Plopp“ reisst uns aus der bukolischen Stimmung. Die Käsedose mitsamt Inhalt ist dem Saurier bei einer ungeschickten Bewegung – natürlich mit der falschen Seite – in den Schotter unter der Parkbank gefallen. Der von Laub, kleinen Kieselsteinen und Erde überzogene Käse sieht nun nicht mehr ganz so appetitlich aus wie vorher. Anatol steigen Tränen in die Augen.

Bevor der Saurier in Verzweiflungsgeheul ausbrechen kann, klaube ich den Käse vom Boden auf und schaffe es, bevor er mir zwischen den Fingern zerfließt, ihn vom Schotter und Laub zu befreien. Den notdürftig gereinigten Rest kann ich in die Dose zurückbefördern.

In Windeseile findet sich eine Armee von Ameisen ein, die auf dem Waldboden verbliebenen Brotkrümel und Käsereste unter Aufbietung aller Kräfte in ihren Ameisenbau transportieren.

Als wir eine Stunde später aufbrechen, sind wir gestärkt und ausgeruht.

Immer weiter in den Wald führt uns unser Weg. Bald ist der Wald so dicht, dass wir kaum noch den Pfad vor uns sehen. Wurzeln und Dickicht überdecken den Weg.

Als wir unschlüssig unsere Karte studieren, kommen zwei Wanderer mit ihrem Hund auf uns zu. Als wir sie nach dem Weg nach Kappelrodeck fragen, schütteln sie den Kopf. „Dahin kommen Sie auf diesem Weg auf keinen Fall.“

Nach kurzer Beratung schlagen uns die freundlichen Wanderer vor, uns durch den Wald zu führen, um dann auf den Waldweg nach Kappelrodeck zu gelangen.

Der Weg durch den Wald ist kühl und schattig. Der Tannenduft ist köstlich. Etwa eine Viertelstunde durchwandern wir den dichten Wald. Dann können wir bergab rollen – gen Kappelrodeck!

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Nach einer anstrengenden Strecke unter der gleißenden Sonne erreichen wir schließlich Kappelrodeck.

Nun gibt es für uns nur noch ein Ziel: das Café Zuckerbergschloß! Dort kommen wir nach einer letzten Steigung, die wir schiebend bewältigen, an.

Fast erscheint es uns, als hätten wir das Paradies erreicht.

Erschöpft lassen wir uns auf der herrlich schattigen Terrasse an einem Tisch nieder. Anatol will ein Eis – am liebsten einen Rieseneisbecher! Ich bestelle einen Erdbeerbecher: Vanilleeis mit Erdbeeren. Dieser erscheint mir eher zu bewältigen als ein Rieseneisbecher.

Ein Herr mittleren Alters sitzt allein an einem anderen Tisch und scheint – von unserer Freundin unbemerkt – nur Augen für uns zu haben. Unbeirrbar fixiert und – so scheint es mir – taxiert er uns.

„Was will der Kerl !?“ zetert Anatol, dem der vermeintliche Lüstling nicht entgangen ist. „Ruhe jetzt !“ schimpfe ich den Saurier an. Satyr oder nicht – ich will uns nicht noch dem Gelächter der anderen Gäste aussetzen, sollte der Butler in einem Anfall falsch verstandener Ritterlichkeit den Wüstling in seine Schranken verweisen wollen.

In diesem Moment wird unser Eisbecher serviert. Nun gibt es bei Anatol kein Halten mehr – er springt mit einem Satz aus dem Rucksack heraus und brüllt: „Das ist meiner!“

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Das konsternierte Aufstöhnen des Glotzers ist bis an unseren Tisch zu vernehmen. Der mutmaßliche Lüstling hat offenbar schlagartig verstanden, dass sein Ansinnen hoffnungslos ist. Er wirft etwas Kleingeld auf den Tisch, steht auf und geht.

Schmatzend feixt der Saurier: „Den wären wir los!“

Erleichtert lehne ich mich in meinen Sessel zurück. Ganz unbehelligt können wir nun Eis und Kuchen genießen!

Zwei Stunden verbringen wir auf der schattigen Terrasse, plaudernd beim Plätschern des Springbrunnens und dem Rauschen des uns umgebenden Waldes.

Als wir aufbrechen, nehmen wir uns fest vor, wiederzukommen.

Den Weg bis Achern legen wir ohne Schwierigkeiten zurück. Müde und glücklich erreichen wir den Bahnhof von Achern, wo zuerst T. auf mein Anraten in unseren Zug einsteigt, was glücklicherweise noch rechtzeitig bemerkt wird. Nachdem Anatol und ich im richtigen Zug sind und nicht T. im falschen, beginnt die Rückfahrt.

Bei unserer Ankunft in Kehl ist es schon fast dunkel.

Um 21 Uhr sind wir zu Hause.

Sicher werden wir schon bald wieder zu einer Tour aufbrechen. Der Herbst bietet bestimmt noch schöne Fahrrad-Tage!

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161. Kapitel – Anatols kleiner Lieblingsladen

Ein Besuch bei Day by Day in Strasbourg

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Nachdem Anatol unseren Kühlschrank nicht nur außen aufs Gründlichste abgeschrubbt, sondern auch innen mehrfach mit Essig ausgespült und abgetrocknet hat, bietet sich nun ein sehr annehmbares Bild. So sauber hat der Kühlschrank selten ausgesehen.

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Der Kühlschrank nach Anatols Essigbehandlung.

Ich bin mit der Arbeit des Sauriers außerordentlich zufrieden und erlaube Anatol, heute mit zum Einkauf bei unserem Lieblingsladen, Day by Day in der Route du Polygone in Strasbourg, Neudorf zu kommen.

Day by Day ist das, was in Deutschland als „Unverpackt-Laden“ bezeichnet wird. Bei Day by Day gibt es alles ohne Verpackung! Man wiegt einfach das ab, was man braucht, füllt es in ein Marmeladenglas, welches man entweder selber mitbringt oder von Céline, der freundlichen und hilfsbereiten Ladeninhaberin, geschenkt bekommt. Die Gläser sind beliebig oft wiederverwenbar – es entsteht überhaupt kein Verpackungsmüll.

Alternativ kann man auch spezielle Behältnisse dort kaufen (Sprühflaschen zum Beispiel, und hübsche Fläschchen und Phiolen), aber im Regelfall reichen die Gläser, die dort verschenkt werden, vollkommen aus.

Um Day by Day zu unterstützen, kann man nicht mehr benötigte Gläser und Flaschen dort spenden.

Endlich können wir einkaufen, ohne überflüssigen Müll zu produzieren!

Was bekommt man bei Day by Day? Eigentlich fast alles. Zucker, Mehl, Reis, Nudeln, Tee… aber auch sehr feine Öle (vor allem Olivenöl), Essig, eingelegte Oliven, einen veganen und absolut unwiderstehlichen Schokoaufstrich (noch dazu ohne Palmöl!), und vieles, vieles mehr.

Viele Produkte haben ein Bio-Label (Ecocert zum Beispiel), andere sind nicht „Bio“. Ich habe beides ausprobiert: die Qualität ist durchweg hervorragend.

Anatols Lieblingsabteilung ist der Haushaltsbereich. Dort findet man vorwiegend Bioputzmittel, Savon de Marseille in jeglicher Form, Alepposeife… Anatol kauft hier die großartige schwarze Seife aus Marseille, die wie keine andere unsere Fliesen und das Parkett säubert und herrlich duften lässt. Für das Parkett gibt Anatol noch etwas Leinöl hinzu, damit alles glänzt und blinkt. Bisher hat kein anderer Reiniger es vermocht, die von den Katzen bei ihren Festgelagen angerichtete Schweinerei so zu beseitigen, dass niemand auf die Idee kommen würde, es habe jemals eine Katze hier etwas gefressen.

Was haben wir heute gekauft?

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Im Einkaufsbeutel waren: Spüli, WC-Reiniger, zwei Olivenölseifen (diesmal die flüssigen), Reis, Rohrzucker – und zum Naschen getrocknete Apfelscheibchen und kandierter Ingwer.

Geschenkt bekommen haben wir: ein Stück festes Shampoo von Pachamamaï – das Shampoo ist vegan und sehr sanft zu Haut und Haaren. Ich habe es heute schon ausprobiert, es macht die Haare wunderbar weich und leicht. Merci beaucoup!

Vergessen wurde: das désinfectant cuisine und das détachant avant lavage (Seifenspray für hartnäckige Flecken), das Anatol unbedingt probieren wollte. Vielleicht fahren wir morgen noch einmal hin. Wir finden jedesmal wieder neue praktische Dinge dort!

Wie sieht es mit den Preisen aus? Da hier nur sehr hochwertige Artikel verkauft werden, ist Day by Day kein Billigladen. Die Produkte werden zum großen Teil in Frankreich hergestellt – meist von handwerklichen Kleinbetrieben und Familienunternehmen – und sind von ihrer Zusammensetzung und Herstellung her ausgezeichnet, so z. B. die Haushaltsreiniger und auch unsere geliebte schwarze Olivenseife. Die Produkte sind außerordentlich ergiebig. Nach dem Gebrauch weiss man, warum man gut daran getan hat, sie zu kaufen – und warum man sie immer wieder kaufen wird.

Zudem muss man bei Day by Day keine großen Mengen kaufen – man entscheidet selbst, wieviel oder wie wenig man braucht. Und viele Produkte sind sogar deutlich günstiger als in anderen Läden, weil sie ohne die kostspielige Verpackung auskommen.

Das Preis-Leistungsverhältnis ist daher sehr gut, finden Anatol und ich. Und es ist uns wichtig, dass die Menschen, die Dinge für uns herstellen und verkaufen, einen fairen Preis dafür bekommen.

Hier ein paar Bilder von unserem Besuch. Der Laden ist wunderschön eingerichtet, wir fühlen uns dort jedesmal sehr wohl:

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Nachtrag – 26. August 2016

Da wir gestern ein paar Sachen vergessen haben, sind wir heute noch einmal zu Day by Day gefahren.

Dort haben wir zwei kleine Phiolen mit Sirup gekauft, sowie den détachant und den désinfectant cuisine. Der Pfirsich-Sirup wird gerade schon von Anatol und Elie weggeschlürft (verdünnt, selbstverständlich) :

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Den désinfectant werden wir sogleich am Kühlschrank ausprobieren. Leider hat er es doch noch nötig.

Anatol macht mich gerade darauf aufmerksam, dass unser Kühlschrank sehr viel Plastik enthält (insbesondere die Tupperdosen, die gar keine echten Tupperdosen sind). Und dass er immer mehr Blogger liest, die plastikfrei leben! Sicher würde unsere Plastikausstattung nicht gut ankommen … Dem widerspreche ich ausdrücklich.

Müssen unsere Nicht-Tupperdosen aus Plastik weg? Nein. Solange sie nicht kaputt sind, werden sie natürlich weiter benutzt. Es wäre widersinnig, Plastik wegzuwerfen, um Plastikmüll zu vermeiden. Für uns jedenfalls.

Die Tupper, pardon Nicht-Tupper (genauer gesagt: Ikea-Plastikboxen) bleiben also. Irgendwann werden wir sicher nur noch Glas- oder Edelstahlbehälter haben, aber bis dahin wird es noch etwas dauern.

160. Kapitel – Großreinemachen reloaded: der Kondenswasserbehälter

Was bisher geschah, lest Ihr hier!

Schon oft habe ich von Anatols grandiosen Putzaktionen berichtet. Der Saurier liebt es, wenn sein Heim blitzt und blinkt – dazu verwendet er gern Putzmittel ohne Chemie. Wo Anatol seine geschätzten Haushaltshelferchen kauft, werden wir in einem anderen Post berichten!

Heute wollen wir uns jedoch einem anrüchigen Thema widmen, von dem wir hoffen, dass keiner unserer Leser je damit in personam konfrontiert werden möge. Falls dies doch geschehen sollte: hier die Anleitung zu dem, was dann zu tun ist.

Seit Wochenbeginn (ich berichtete) ist unsere Wohnung kaum noch zu betreten. Ein pestilenzartiger Gestank durchzieht das ganze Appartement, wobei besonders die Küche betroffen ist. Ausgedehnte Suchaktionen (in den Lüftungsschlitzen, der Rumpelkammer, unter und hinter den Möbeln) haben keine Erkenntnisse hinsichtlich der möglichen Quelle gebracht. Der Verwesungsgeruch wird von Tag zu Tag schlimmer – es ist klar, dass wir hier nicht länger leben können, wird das Problem nicht umgehend behoben.

Nach unserer schönen Fahrradtour entlang der Murg waren wir gestern gegen 21 Uhr erschöpft nach Hause gekommen. Ob der unerträglichen Geruchsbelästigung hatte Anatol sich ungeachtet seiner Müdigkeit auf die Suche gemacht, mit dem festen Entschluß, nicht abzulassen, bevor er der Sache nicht auf den Grund gegangen sei.

Als der Kühlschrank von der Wand abgerückt ist, tritt die Geruchsquelle zu Tage:

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Ein mir bis dahin völlig unbekannter Behälter unten am Kühlschrank an der hinteren Wand ist randvoll gefüllt mit „etwas“, das ich auch heute nur mit angehaltenem Atem als in höchstem Maße ekelerregend beschreiben kann.

Ein erster Reinigungsversuch endet mit starkem Würgereiz – und Flucht. Uns wird klar, dass wir des Problems wenn überhaupt nur mit einer angemessenen Ausrüstung, möglicherweise sogar im Schutzanzug, Herr werden können.

Wir versiegeln die Küche und beschließen, erst am nächsten Morgen den Kampf gegen das Grauen  unter dem Kühlschrank aufzunehmen.

Als der Tag anbricht und die ersten Sonnenstrahlen unseren Balkon vergolden, wissen wir, dass das Ende des Gestanks gekommen ist. Wir frühstücken beim Bäcker – unsere Küche kann nicht mehr genutzt werden. Dann entsiegeln wir die Küchentür.

Hinter mir ertönt ein Rascheln – dann das Klicken der Haustür.

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Elie verlässt eilig die Wohnung. Seine Geruchstoleranzschwelle ist offenbar erreicht.

Ich entferne alle Gegenstände aus der Küche – sie sollen nicht mehr benutzt werden, bevor sie nicht abgekocht, desinfiziert und gründlich gereinigt sind. Ob dies aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist, weiss ich nicht; Anatol will jedoch keines der Utensilien wieder anrühren, so lange es nicht peinlichst gesäubert ist.

Der Saurier hat indessen im Internet recherchiert und ist bei „Frag-Mutti.de“ fündig geworden:

Gestank durch Kühlschrank / Wasserauffangbehälter

Moderne Kühlschränke haben einen Auffangbehälter für Kondenswasser, welches meist an der inneren hinteren Wand entsteht. Der Kondensatbehälter ist meist offen und befindet sich hinter dem Kühlschrank meist direkt auf dem Kompressor.

Wenn das Wasser nicht schnell genug verdunstet, fängt es an zu faulen und produziert undefinierbaren Mief, bevor es irgendwann einen penetranten fäkalartigen Gestank verbreitet.

Die Beschreibung entspricht in allen Punkten der vorliegenden Situation.

Nachdem wir den Artikel durchgelesen haben, wissen wir, was zu tun ist. Der Kondenswasserbehälter muss entleert, gesäubert und ent“duftet“ werden, danach kann man ihn wieder einbauen und das Problem sollte behoben sein.

Nur wohin mit der reichlich vorhandenen „dickflüssigen Masse“, die ich hier nicht näher beschreiben möchte? Wie entferne ich sie überhaupt aus dem Behälter, ohne sie zu verschütten? Wieder ergreift mich der Würgereiz.

„Das muss man mit Klopapier aufsaugen, wegwerfen und dann ausputzen!“ weiss der Butler und hat auch schon die notwendigen Hilfsmittel zusammengestellt.

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Dann nähert sich der Butler todesmutig dem Kühlschrank. Ein Luftstoß aus dem Flur lässt Anatol eine regelrechte Duftwolke entgegenschlagen. Panik, Ekel und Würgereiz ergreifen den Saurier – er dreht sich auf dem Absatz um, rennt fort und springt mit einem Satz auf den Fenstergriff, wo er die frische Luft begierig einatmet.

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Ich seufze. Offenbar bleibt der härteste Teil des Einsatzes wieder einmal an mir hängen.

Dank der von Anatol klug zusammengestellten Ausrüstung gelingt es mir, mit Klopapier zuerst den größten Teil der „Masse“ aus dem Behälter aufzusaugen und sofort wegzuwerfen. Gummihandschuhe leisten mir dabei gute Dienste.

Achtung, diese Arbeit kann nur von außerordentlich hartgesottenen Mitmenschen durchgeführt werden!

Als das Schlimmste entfernt ist, gelingt es mir, ohne die grauenerregende Reste zu verschütten, die Auffangschale aus ihrer Halterung zu lösen bzw. abzuklipsen.

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Nun kann selbige im Seifenbad mit viel ätherischem Orangenöl eingeweicht werden.

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Was die widerlichen angetrockneten Reste sind, die man noch erkennen kann, wollen wir nicht so genau wissen.

Anatol rückt indessen mit einem seiner Lieblingsutensilien an, um unter dem Kühlschrank sauberzumachen.

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Nach einem längeren Verbleib im Chlorbleichebad ist die Auffangschale wieder einsatzbereit. Ich klipse sie auf ihren Kondensator, schiebe den Kühlschrank zurück an die Wand und atme die frische, geruchslose Luft ein.

Anatol stösst ein erleichtertes Seufzen aus. „Ich glaub, wir haben es geschafft! Es riecht nicht mehr!“

Seit Tagen habe ich mich in unserer Wohnung nicht mehr so wohl gefühlt.

„Anatol, woher mag denn diese grauenvolle Soße in der Auffangschale gekommen sein? Sowas passiert doch nicht „einfach so“ – oder?“

Der Saurier druckst verlegen herum. Offenbar weiss er etwas, das er mir nicht sagen will. Ich bestehe indessen auf einer Antwort.

„Nun ja … da war letztens etwas. Und zwar war beim Auftauen des Katzenfutters …“ hier stockt der Butler. Anatol stellt eigens für die Katzen ein ernährungsphysiologisch wertvolles Rohfleischfutter, auch BARF („biologisch artgerechte Rohfütterung“) genannt, her.

„Was war da …?“ frage ich drohend.

„Also es ist ausgelaufen. Aus der Gefriertüte. Sie ist im Kühlschrank umgekippt und alles ist raus. Ich habe natürlich den ganzen Kühlschrank ausgewischt und geputzt!“ beeilt sich der Butler hinzuzufügen. „Aber da war muss wohl einiges schon in die Kondenswasserauffanganlage hineingeflossen sein.“

Ich fühle mich gerade so, als müsse ich schnellstens die Keramikabteilung unserer Wohnung aufsuchen. Mein Magen dreht sich schon wieder um.

„Der Unfall hätte genauso bei fleischfressenden Mitbürgern passieren können!“ zetert Anatol. „Was da ausgelaufen ist, hatte alles Lebensmittelqualität!“

„Hatte, Anatol“ seufze ich. „Hatte.“

159. Kapitel – Die Tour de Murg

Was vorher geschah, findet Ihr hier !

Als ich am Bahnhof in Kehl ankomme, ist es kurz nach 9. Ich kaufe unser Baden-Württemberg-Ticket, mit welchem Fahrrad, Dinosaurier und ich innerhalb des Ortenaukreises den ganzen Tag mit der Bahn fahren dürfen. Dann setze ich mich ins Bahnhofs-Café und würde am liebsten einschlafen.

Nun rumort es im Rucksack. Der Saurier erwacht – und will sofort einen Espresso. Diesen bekommt er. Immerhin kann ich so das zu erwartende Genörgel im Keim ersticken.

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Ich trinke indessen einen Ristretto mit viel Zucker. Mit etwas Glück verhilft mir das zu neuen Kräften. Allerdings bin ich wirklich sehr müde. Ich wäre am Vorabend besser beizeiten ins Bett gegangen!

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Wir steigen in den Zug nach Offenburg und ergattern sogar eine Art Sitzplatz. Ab Offenburg ist es noch komfortabler. Das Rad steht im Fahrradabteil, Anatol und ich können ganz bequem auf richtigen Sesseln sitzen. Hier schaffe ich es, ein paarmal die Augen zu schließen. Der Saurier überwacht währenddessen die Strecke.

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Eine Durchsage unterbricht mein Dösen. „Reisende nach Freudenstadt, bitte verlassen Sie den letzten Waggon. Ich wiederhole: bitte verlassen Sie den letzten Waggon. Dieser wird abgekoppelt und fährt weiter nach Hornberg“.

Ich stöhne. Wir müssen unseren wunderbaren Sitzplatz verlassen und in den jetzt schon überfüllten Wagen vor uns einsteigen – besser: versuchen einzusteigen, denn ob dort noch Platz ist für ein weiteres Fahrrad, ist ganz unklar …

Als der Zug hält, schaffe ich es, den Wagen zu verlassen und das Fahrrad in eine winzige Lücke in Waggon 1 zu quetschen. Einen „Sitzplatz“ finden wir nur auf einem kleinen Treppchen. Dies ist suboptimal – aber immerhin sind wir im Zug. Um 11 Uhr 17 werden wir in Freudenstadt ankommen, daran kann kein Zweifel bestehen.

Nach einer etwas holprigen Reise treffen wir tatsächlich fast planmäßig in Freudenstadt ein. Treffpunkt mit unserer Freundin und Fahrradkumpanin T. ist der Marktplatz. Um diesen zu erreichen, haben wir eine steil ansteigende Strecke von etwa einem Kilometer vor uns.

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Kurze Zeit später sind wir am Treffpunkt – am Marktplatz Freudenstadt unter der Venusstatue. Nach einem gemeinsamen Eiscafé sind wir gestärkt und können unsere Tour antreten. Ich lasse mir nur zu gern erklären, dass diese vorwiegend „abwärts“ führt. Zu sportlichen Höchstleistungen bin ich heute nicht fähig.

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Wir fahren nun durch die herrliche Gegend ins Tal. Der Saurier sitzt im Rucksack, immer die Nase im Wind: so entgeht seinen scharfen Stegosaurier-Augen keine Einzelheit.

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Unten im Tal fließt die Murg – durch die Bäume hindurch sieht man das glitzernde Wasser und die großen, glattgeschliffenen Steine, zwischen denen der Fluss sich ins Tal ergießt.

Nach zwei Stunden, während derer wir vorwiegend bergab gerollt sind, stellt sich Hunger ein. Der Saurier, der nicht einmal in die Pedale tritt, verlangt lautstark sein Picknick:

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Zum Glück bekommen wir auch etwas davon ab!

Ein Bild sagt mehr als viele Worte:

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Unter diesem alten Obstbaum machen wir etwas später Rast und genießen die herrliche Aussicht.

Viel zu schnell sind wir in Gernsbach angelangt. Hier wartet der Höhepunkt des Tages auf Anatol.

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Es ist ein Glück, dass der Saurier meist nach drei Happen so satt von der mächtigen Schwarzwälder-Kirschtorte ist, dass mir gnädigerweise der „Rest“ zufällt.

Und schon neigt sich unsere Tour ihrem Ende zu… die schönen Dinge vergehen immer zu schnell. Wieder ist es Zeit, sich zu verabschieden …

Um 19 Uhr stehe ich in Rastatt auf dem Bahnhof, einen wohlig schnurchelnden Anatol im Rucksack und eine hier nicht gültige Ortenaukreis-Fahrkarte in der Hand. Wieviel muss ich nachlösen? Wo kann ich nachlösen? Der Automat gibt hierzu keine Auskunft, und menschliche Bahnbedienstete sind nicht mehr zugegen.

Meine zukünftigen Mitreisenden auf dem Gleis sind sämtlich fremdsprachige Mitbürger, die mir freundlich zulächeln, aber meine Frage natürlich nicht beantworten können.

Mit einem mulmigen Gefühl, dafür ohne Fahrkarte steige ich in den Zug. Das Fahrradabteil ist voller Kinderwägen, ich muss daher auf ein nicht für Fahrräder zugelassenes Abteil ausweichen. Da ich bereits ohne Fahrkarte bin, ist dies nun auch egal, sage ich mir beklommen.

Kurz vor Baden-Baden sehe ich einen Schaffner sich einen Weg durch das Kinderwagendickicht im Radabteil bahnen. Zu diesem wühle ich mich meinerseits hin, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ich zwar kein Billet habe, aber gewillt bin, sofort eines zu kaufen.

Der Schaffner winkt ab und ruft durch das Stimmengewirr, ich solle da bleiben, wo ich sei, er würde mir die Fahrkarte dort verkaufen.

Wenig später kann ich ihm klarmachen, dass ich keine gemeine Schwarzfahrerin bin, sondern nur nicht weiss, wie weit mein bereits gelöstes Ticket reicht. Dies weiss jedoch der Schaffner – es reicht bis Achern – und so erstehe ich für 4 Euro 10 den noch notwendigen Fahrschein.

Wir sind indessen in Baden-Baden eingetroffen, aber der Zug steht wie angeklebt im Bahnhof. Offenbar werden Anschlüsse erwartet. Ein recht armselig aussehender Mann steigt ein und überschüttet den Schaffner mit einem Wortschwall im ortsansässigen Dialekt. Nach einem für mich unverständlichen Dialog steigt der Mann wieder aus.

„Umsonsch mitfarre wolle de! Jesses Gott, nei wo simme!“

Ich bin froh, dass das geballte Regelwerk der Deutschen Bahn nicht auf meinen Fall angewendet wird – stehe ich doch mitsamt meinem Fahrrad in einem Abteil, das nicht für Fahrräder zugelassen ist.

Ein pingelig sauber gekleideter Herr mit weissem Hemd und Anzugshose sowie Stahlhelm betritt das Abteil und wendet sich wutschnaubend an den Schaffner.

„Sie sind sich bewusst, dass dieses Fahrrad hier nichts zu suchen hat?“ Er zeigt wütend auf mein Victoria Fahrrad.

Der Schaffner brummt. Ich sehe den Herrn so freundlich an, wie einem das bei einem wutentbrannten Stahlhelmträger nur möglich ist und rechtfertige mich mit sanfter Stimme: „Im Fahrradabteil vorn bin ich nicht reingekommen … leider!“

„Genau!“ brüllt der Stahlhelm zornbebend. Mir fällt erst jetzt auf, dass es sich um einen Fahrradhelm handelt. „Ich auch nicht! Alles voll mit Kinderwägen und undisziplinierten Leuten! Die gehören dort nicht hin! Ich schwöre Ihnen – wenn Sie als Deutsche Bahn die Leute nicht entfernen, dann werfe ich sie eigenhändig raus!“ Hier schnappt dem Herrn vor Erzürnung die Stimme über.

Der Schaffner macht den ungehaltenen Fahrgast darauf aufmerksam, dass er keineswegs die Deutsche Bahn vertrete, sondern von dieser nur „ausgeliehen“ sei. Wie dies arbeitsrechtlich zu beurteilen sei, mag ich mir nicht vorstellen. Ich vermute, der gute Schaffner drückt damit aus, dass er nicht gut genug bezahlt sei, um derlei Ärgernisse auf sich zu nehmen.

Indessen wird unser Stahlhelmträger immer wütender. Ich ziehe mich vorsichtig aus der Diskussion heraus, in die ich unfreiwillig geraten bin – offenbar ist es dem Schaffner aber ganz lieb, dass ich mit meinem Fahrrad zwischen ihm und dem Wüterich stehe.

Letzterer schafft es, den Schaffner dazu zu bringen, mit ihm in das Fahrradabteil zu gehen. Hier weist der Schaffner die Reisenden darauf hin, dass es sich um ein Fahrradabteil handele … was diese geduldig anhören.

Dann geschieht – nichts.

Zeternd läuft unser Stahlhelm durch den Waggon und verschwindet unter lautem Schimpfen in den Tiefen des Zuges.

Fassungslos sehen die anderen Reisenden mich an. Ich zucke mit den Schultern. „Die Hitze…?“ versuche ich ein Erklärung. Ausnahmsweise hatte ich mit dem Wutausbruch sogar nichts zu tun … Anatol flüstert durch den Rucksack: „War wohl besser, dass ich nicht rausgekommen bin, oder?“

Zwei mitleidige Mitreisende helfen mir schließlich, das Rad in die obere Etage zu tragen – dies ist streng verboten – aber so kann ich für den Rest der Reise sitzen.

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Zurück in Kehl – die restlichen Kilometer bis nach Hause fährt das Fahrrad fast von allein.

Als Elie uns gegen 21 Uhr heulend die Tür aufmacht, schlägt uns der altbekannte Geruch entgegen.

Elie war auf seiner Demo gewesen, aber Anna hatte nur Augen für Angelo gehabt. Könnte Elies politisches Engagement möglicherweise doch nicht allein von humanitären Gesichtspunkten motiviert sein? Die Frage erscheint berechtigt, ich stelle sie indessen nicht.

Anatol ist nicht gewillt, den Gestank weiter zu ertragen. „Ich räum alles aus. Wenn ich die Quelle nicht finde, ziehe ich aus!“

Ich gehe in die Dusche und überlasse Anatol seiner Küche. Das Rauschen der Dusche übertönt bald das Sauriergezeter und das Möbelrücken.

Als ich aus der Dusche steige, ertönt ein markerschütternder Schrei aus der Küche. Der Schrei verstummt, dann folgt ein zweiter – lauter, verzweifelter und durchdringender. Ich wickele mir notdürftig ein Handtuch um und stürze in die Küche.

Dort präsentiert der Saurier mir das Grauen.

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Der Kondenswasserablaufbehälter an der Rückseite des Kühlschranks ist zweifelsohne die Quelle des Übels.

Als ich nähertrete und den Inhalt des Behälters sehe – leider auch rieche – dreht sich mein Magen um und ich würge unwillkürlich.Es erscheint, als wäre etwas oder jemand in dem Behälter erst gestorben, verfault, dann aber, wenn auch in anderer Form, wieder lebendig geworden.

„Mach das weg, Anatol!“ schaffe ich noch zu rufen. Vom Ekel überwältigt renne ich aus der Küche.

Der Saurier hat eine Wäscheklammer auf der Nase und reicht mir ebenfalls eine.

„Ich kann das unmöglich heute abend noch beseitigen. Wir müssen uns bis morgen gedulden.“ Und dann, als habe er meinen Gedanken erraten: „Die Katzen habe ich durchgezählt. Sind vollzählig. Was auch immer das ist in dem Behälter – es ist keine Katze.“

Das Ergebnis unserer Radtour lässt sich indessen sehen:

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158. Kapitel – In den Krallen der Pest

Voller Vorfreude springe ich die Treppe hoch in 4. Stock. Eben habe ich in der Stadt noch letzte Einkäufe für die morgige, alljährliche Fahrradtour mit einer lieben Freundin getätigt. Das Highlight der Sommerferien steht unmittelbar bevor!

Während ich den letzten Treppenabsatz nehme, rekapituliere ich ein weiteres Mal, was bis Morgen vorzubereiten ist: Picknick, Luftpumpe, Sonnenöl und -hut … das meiste hat Anatol ohnehin schon zurechtgelegt. Das Rad ist gewartet, die neue Satteltasche steht bereit – unserer Tour steht nichts mehr im Weg. Wir müssen nur noch einmal schlafen … dann ist es soweit!

Ich stecke den Schlüssel ins Schloss, da ich weiss, dass Anatol es hasst, wenn ich klingele, damit er mir aufmacht. „Kannst Du nicht selber aufschließen?! Stör mich nicht bei der Arbeit!“ pampt mich das Untier jedesmal an.

Während ich den Schlüssel im Schloß drehe, kommt mir ein seltsamer Geruch aus der Wohnung entgegen, der offenbar sogar durch die geschlossene Tür dringt… haben die Butler nicht daran gedacht, die Katzenklos zu säubern? Es ist zwar nicht schlimm, aber ein wenig verärgert bin ich doch. Schließlich hatten die beiden Saurier den ganzen Nachmittag zu Hause verbracht, während ich in der Stadt einkaufen war.

Als ich in Flur trete, umgibt mich ein pestilenzartiger Gestank. Ich erschauere – was ist hier geschehen?

„Anatol!?“ rufe ich. „Was ist denn los? Es stinkt bestialisch!“

Gepolter ertönt aus der Rumpelkammer, dann ein Ächzen, das unzweifelhaft von Anatol stammt. Der Saurier scheint unter Tonnen von Gerätschaften begraben – so klingt es jedenfalls. Dann fallen diverse Gegenstände scheppernd zu Boden und der Butler krabbelt betreten aus der Kammer hervor.

Kopfkratzend sieht er mich an. „Ja“ sagt er. „Es stinkt. Das ist mir nicht verborgen geblieben. Es hat am frühen Nachmittag begonnen, und seitdem suche ich die Quelle. Bisher ohne Erfolg. Aber bei allem, was mir heilig ist – ich werde sie finden!“

Dann verschwindet er wieder in der Gerümpelkammer, wo er offenbar den Ursprung des Geruchs vermutet.

Ich lege meine Einkäufe ab und stelle erleichtert fest, dass Wohn- und Schlafzimmer verschont sind von den unangenehmen Ausdünstungen. Dies haben auch die Katzen und Elie bemerkt: bang haben sie sich in die letzte Ecke des Betts gedrängt, um dort so weit wie möglich von der unseligen Küche, die das Epizentrum des anrüchigen Problems zu sein scheint, entfernt zu sein.

„Hat Anatol etwas gekocht, was ihm misslungen ist?“ flüstere ich Elie fragend zu.

„Nein… Anatol hat heute nachmittag nur Kaltes vorbereitet für Eure Tour morgen. Das hat überhaupt nicht gerochen – und wenn, dann hat es lecker gerochen. Ich weiss auch nicht, was das für ein schrecklicher Gestank ist: als ob jemand im Lüftungsschacht gestorben wäre! Igitt!“

Der von Elie gebrachte Vergleich ist pietätlos, aber zutreffend. Ich räuspere mich. „Und das Brummen…? War das auch die ganze Zeit schon…?“

„Ach, die Fliegen? Ja, die schwärmen seit vorhin hier rein. Das ist eklig! Ich mag hier nicht mehr wohnen. Nachher geh ich zu Anna – sicher darf ich dort übernachten.“

Aus der Rumpelkammer ertönt ein trimphierendes „Ha!“. Elie und ich stürzen in die Küche – hat Anatol wohl den Ursprung allen Übels gefunden? Der Saurier zerrt eine offensichtlich vergessene Tüte mit undefinierbarem Inhalt aus der hintersten Ecke der Kammer hervor.

„Das hier muss es sein!“ Anatol öffnet die Tüte so voller Aufregung, dass der gesamte Inhalt zu Boden fällt: Verlängerungskabel, Adapter und erstaunlicherweise auch Elies Schwimmflügel kommen zu Vorschein. Alles ist trocken und sauber, lediglich etwas Staub hat sich auf der Tüte gesammelt.

Entmutig lässt Anatol die Tüte zu Boden gleiten. „Wieder nichts! Ich kann mir dieses Phänomen nicht erklären!“

Ich erkläre die Sucharbeiten vorerst für beendet und bitte die Saurier, die sehr zahlreich vorhandenen Fliegen aus dem Fenster zu bugsieren. Dann packe ich unsere Satteltasche für die morgige Tour und lege meine Fahrradmontur zurecht.

Anatol hat ein Taboulé für heute abend vorbereitet, das so reichlich ist, dass auch für unsere Tour noch etwas abgezwackt werden kann. Auf dem Balkon können wir unser Abendessen sogar genießen – hier ist die Luft rein.

„Elie, kommst Du morgen auch mit auf die Fahrradtour? Wir fahren die Tour de Murg, im Schwarzwald. Es wird sicher toll!“ sagt Anatol, sein Taboulé schmatzend.

Elie würdigt ihn kaum eines Blickes. „Ich gehe morgen demonstrieren!“

Richtig – für morgen war die große Demostration der hiesigen Friedensbewegung angekündigt. Auch die Flüchtlingshilfe, bei der Elie und Anna jeden Donnerstag bei der Essensausgabe mitarbeiten dürfen, nimmt selbstverständlich daran teil.

Beschämt sehe ich auf meinen Teller. „Ich kann diesmal leider nicht mitkommen, Elie.“ Und aufmunternd: „Ich bin sicher, dass Du uns würdig vertreten wirst!“

„Also wir werden ganz bestimmt morgen während der Radtour oben im kühlen Schwarzwald an Euch denken!“ zieht Anatol seinen Kumpel auf.

Gerade will ich mein Missfallen an derlei spitzen Bemerkungen ausdrücken, da zetert Elie schon mit vor Wut rotem Kopf los. „Während Ihr es Euch im Schwarzwald gut gehen lasst, tue ich etwas für den Frieden! Das ist wichtiger als Euer Amüsement! In vielen Ländern ist Krieg, Europa löst sich auf … seit gestern sagen sie sogar im Radio, wir sollen Essens- und Wasservorräte hamstern, um uns auf den nächsten Krieg vorzubereiten! Aber fahrt nur los auf Eure Tour de Murks und wiegt Euch in Sicherheit! Ich demonstriere lieber mit der Antifa!“

Hier werde ich hellhörig. „Elie, von Antifa war bisher nicht die Rede! Es ging um eine Demo für den Frieden, für Toleranz und Völkerverständigung … von Antifa habe ich nichts gehört, und ich bin nicht damit einverstanden, dass Du bei Extremisten mitgehst!“

Meinen autoritären Diskurs schließe ich mit einer dezidierten Handbewegung ab. Elie ist hoffentlich davon so beeindruckt, dass er sich weiteren Antifa-Ambitionen enthält.

Anatol knurrt „Antifa? Von denen habe ich irgendwann in den 8oer Jahren das letzte Mal gehört. Existieren die noch? Ich fand die damals schon beschränkt.“

Dann fügt er hinzu „Das mit den Vorräten, die wir nun alle haben sollen, habe ich auch gehört. Ja, es beunruhigt mich ebenfalls. Sicherheitshalber habe ich deshalb heute mittag zwei Gläser Marmelade eingekocht!“

Elie verdreht die Augen. Man sieht ihm an, dass er gerade innerlich explodiert. Bevor es ein Unglück gibt, frage ich schnell, was es denn mit dieser Antifa auf sich habe, bei der Elie mitmarschieren wolle – wogegen ich mich im Übrigen ganz entschieden ausspreche.

„Antifa ist unsere Politik-AG in der Schule!“ schreit Elie, voller Wut ob unserer Ignoranz. „Da sprechen wir über die politische Lage in Syrien und im Irak, die Flüchtlinge – wie sie zu uns kommen und wie wir ihnen helfen können … und über diese neuen Parteien, die gegen die Flüchtlinge sind!“

All dies klingt für mich nicht wirklich nach Antifa. Elie sieht meinen zweifelnden Blick und beeilt sich, zu erklären. „Das mit der Antifa hat Herr Hase gesagt!“ erläutert er.

Wir erinnern uns – Herr Hase, unser reaktionärer Nachbar, schätzt politische Betätigung nur, wenn sie mindestens auf erzkonservativer Ebene stattfindet.

„Herr Hase hat Eliane verboten, an der Politik-AG teilzunehmen. Er sagt, das sei eine Antifa-Gruppe, und zu so etwas ginge seine Tochter auf keinen Fall!“ Etwas pampig setzt Elie hinzu „Jetzt wisst Ihr es. Und wir bei der Antifa, wir sind dafür, dass die armen Flüchtlinge herkommen dürfen. Das will Herr Hase nicht.“

„Ach so…“ bemerkt Anatol gedehnt und mit einem kaum merkbaren ironischen Unterton. „Und Euer Vorbild bei dieser ‚Antifa-Gruppe‘ ist dann sicher die Bundeskanzlerin…?“

Elie nickt eifrig. „Natürlich! Wir haben der Bundeskanzlerin sogar eine Mail geschrieben, und ihr gesagt, wie gut wir das finden, dass die Flüchtlinge aufgenommen werden!“

Ich atme auf, beende die politische Diskussion und erlaube Elie ausdrücklich die weitere Teilnahme an dieser quasi staatstragenden „Antifa“-AG. Im Stillen nehme ich mir vor, die Klassenlehrerin und AG-Leiterin darum zu bitten, den Schülern das politische Geschehen der letzten 40 Jahre noch ein wenig genauer zu erklären.

Es ist nun 21 Uhr und im Grunde höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Der Wecker ist für 5 Uhr 15 gestellt.

Anatol findet indessen keine Ruhe. „Meine Küche ist hinüber!“ jammert er. „Es ist nicht auszuhalten, dieser Gestank! Der muss doch irgendwoher kommen …“ Wie besessen beginnt der Saurier, die strategischen Orte abzusuchen, Möbel wegzurücken und Ritzen auszukratzen – er verdächtigt die Katzen, das sehe ich ihm an.

Ich komme dem Butler zur Hilfe, während Elie schon friedlich in seinem Nestchen schlummert – von der morgigen Demo träumend, auf der er die ganze Zeit Annas Hand halten wird, sollte nicht der verhasste Nebenbuhler Angelo zugegen sein.

Das Zentrum der Geruchskatastrophe ist klar in der Küche zu verorten. Anatol lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. „Da!“ ruft er. „Die Lüftung! Da kommt es sicher raus, glaube ich!“

Wütend zerrt er die Leiter unter dem Schrank hervor und klettert in Windeseile in schwindelerregende Höhen. Ganz bis zum Lüftungsschlitz schafft er es nicht, aber er ruft auftrumpfend „Von da kommt es! Furchtbar ist es hier mit dem Geruch – viel schlimmer als unten!“

Indessen habe ich das Gefühl, dass die Ausdünstungen aus einer anderen Ecke kommen – aber Anatol lässt nicht mit sich reden. „Ich schalte die Lüftung jetzt aus. Dann muss der Geruch verschwinden – wenn er aus der Lüftung kommt.“

Dies ist logisch – wir knipsen daher die Lüftung aus und legen uns ins Bett. Fenster und Balkon bleiben ob der großen Hitze offen.

Etwa 30 Minuten später kann ich vor Gestank nicht mehr schlafen. Auch Anatol ist auf: knurrend rumort er in der Küche umher. „Also – die Lüftung ist es leider nicht. Das Ganze ist ohne Lüftung noch viel schlimmer! Ich stelle sie wieder an – es hilft ja nichts.“

Als wir eine weitere Stunde erfolgloser Suche hinter uns haben, geben wir entnervt auf. Anatol legt sich auf den Balkon, ich schlafe ohnehin neben dem geöffneten Fenster.

Als der Wecker um kurz nach fünf klingelt, habe ich etwa drei Stunden geschlafen. Ich bin todmüde. Der uns aus der Küche entgegenschlagende Gestank ist unerträglich.

So schnell wir können verlassen wir die Wohnung und liefern den aufgeregten Elie – es ist seine erste Demonstration „mit den Großen“ – bei Anna ab.

Dann lasse ich Anatol in den Rucksack krabbeln, wo er augenblicklich einschläft, und setze mich aufs Rad.

Unsere langersehnte Radtour hat begonnen.

zur Fortsetzung!

 

157. Kapitel – Lebt hier noch jemand?

Nach fast zweimonatiger, unerträglicher Blog-Starre habe ich, Anatol, mich entschlossen, die Dinge in die Hand zu nehmen und selbst in den Blog zu schreiben! Schließlich ist es mein Blog, ist er doch nach mir benannt.

Susanne will nicht, dass ich hier schreibe. Sie behauptet, ich schreibe Quatsch. Was für eine unglaubliche Unverschämtheit! Natürlich sind meine schriftstellerischen Fähigkeiten mindestens so herausragend wie meine Kochkünste. Lest einfach selbst.

Normalerweise ist der Laptop, auf dem die Blogzugänge gespeichert sind, weggeschlossen. Heute aber – und diese Chance habe ich ergriffen! – liegt er ungesichert auf dem Bett: Susanne ist krank. Im Büro muss sie jemand mit einem bösen Sommergrippevirus angesteckt haben, weshalb sie nun – bei hochsommerlichen Temperaturen von über 30°C – hustend und fiebernd im Bett liegt, den Laptop neben sich. Dass ich ihn eben entwendet habe, bemerkt sie in ihren Fieberträumen nicht.

Für die Krankenpflege sorgt natürlich wer ? Ja, ich. Seit Tagen verabreiche ich Medikamente, koche Tee und lasse das unsägliche Gejammere geduldig über mich ergehen. Vorhin musste ich mich gar wegen des Geschmacks des Kräutertees wüst beschimpfen lassen! Dabei ist ein solcher Kräutertee – mit viel Thymian – das Beste, was man bei einer Erkältung trinken kann.

Aber was hat der Quacksalber, den sie ihren „Hausarzt“ nennt, ihr verschrieben? Antibiotika! Ja, Ihr lest richtig – eine Chemiekeule hat er verordnet, dazu noch Entzündungshemmer übelster Art. Um das Fieber zu senken! Medizinisch ist das eine Eselei – hilft das Fieber doch bei der Bekämpfung der Krankheitserreger.

Wäre es nach mir gegangen, hätte sie kalte Wadenwickel, eine Zwiebelpackung um den Hals und Cognac zum Gurgeln bekommen – dazu Thymiantee und strenge Bettruhe OHNE Internetspielereien am Laptop.

Aber mich fragt ja niemand nach meinen Jahrhunderte – was sag ich: Jahrmillionen! – alten medizinischen Kenntnissen. Das macht mich rasend!

Ich muss aufhören. Susanne ruft mich schon wieder, der Hals tut ihr weh und ich soll ihr heisse Sojamilch mit Honig bringen …

Ich melde mich wieder!

Euer Anatol

156. Kapitel – Hausarbeit und Okara-Makrönchen

Der faulste Tag des Jahres geht zuende. Nachdem ich es immerhin geschafft habe, mich fertigzumachen und anzuziehen, drusele ich bei einer heissen Tasse Tee in meinem Lieblingssessel ein.

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Von Zeit zu Zeit weckt mich das geschäftige Werkeln des Sauriers, der es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, die Küche in eine Hochleistungs-Cuisine zu verwandeln…

Ich schrecke hoch. Anatol ruft nach mir. „Komm sofort her! Es ist fertig!“

Verschlafen reibe ich mir die Augen. Was ist fertig…? Ich schaffe es, mich aus dem Sessel herauszuschälen und schlurfe in die Küche.

„Da!“ ruft der Butler stolz und präsentiert mir sein soeben aus dem Backofen kommendes, offenbar wunderbar geratenes Roggen-Sauerteig-Brot.

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„Diesmal habe ich es in der Porzellanform gebacken,“ erklärt Anatol. „Ich bin gespannt, wie es schmeckt.“

Seit einigen Monaten führt Anatol seinen eigenen Sauerteig. Ich liebe das leckere Sauerteigbrot, das der Saurier jede Woche aus dem Backofen hervorzaubert. Auf die neue Form bin ich ebenfalls neugierig. Bisher war das Brot ein eher flacher Fladen. Diesmal ist es richtig aufgegangen.

Mit Wohlgefallen sehe ich, dass die Küche herrlich sauber ist und dass der Butler die  gesamte Bügelwäsche erledigt hat. Dann lasse ich  mich in meinen Sessel fallen und döse wieder ein.

Etwas später weckt mich das Dröhnen des Staubsaugers. Anatol will offenbar die ganze Wohnung zum Blitzen und Glänzen bringen. Muss das jetzt sein … ich bin so müde… Das Untier saugt um meinen Sessel herum und unten hindurch – dann saust es ins Schlafzimmer, wo es bei den Katzen eine Massenpanik auslöst.

„Es hilft nichts!“ ruft der Saurier. „Dieser Saustall muss auch mal geputzt werden!“

Zum Glück zieht er sich alsbald wieder in seine Küche zurück und macht sich dort am Froster zu schaffen. ‚Was will er da?‘ frage ich mich … aber ich bin zu müde, um nachsehen zu gehen – und schlafe wieder ein.

Als Anatol mich erneut aufweckt, ist es schon Abend. Draußen dämmert es. Der Saurier zeigt mir stolz, was er vorbereitet hat, während ich geschlummert habe:

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„Ich habe Deine alten Reste zusammengekramt, um daraus endlich etwas Anständiges zu backen. Das Okara, das jedes Mal bei der Sojamilch übrig bleibt, wollte ich ja auch schon lange weiterverarbeiten. Hier sind sie – meine phantastischen neuen Okara-Kokos-Makrönchen!“

Stolzgeschwellt präsentiert mir der Butler das Backblech, das er sogleich in den Ofen schiebt.

So so. Meine alten Reste hat das Biest also aufgebraucht. Dass die Vorratsverwaltung selbstverständlich Anatols Aufgabe ist, lässt der plüschige Haustyrann ganz einfach unter den Tisch fallen. Ich entscheide mich, darüber hinwegzuhören.

Nach den Zutaten und der Zubereitung der Makrönchen muss ich nicht fragen – der Butler ist viel zu stolz auf sein Werk, um mir nicht sofort das gesamte Rezept mitzuteilen.

„Ich habe so etwa 100g Okara, vielleicht auch 150g im Wasserbad aufgetaut. Dazu habe ich mehrere Esslöffel Lupinenmehl und den ganzen Rest der veganen weissen Schokopaste gemixt. Die ist also nun aufgebraucht. So war der Teig aber noch etwas dünn. Dann habe ich die Kokosraspeln ganz hinten im Küchenschrank gefunden – ich will dir nicht sagen, seit wann die abgelaufen sind. Schmecken tun sie aber prima. Die hab ich also auch reingetan. Dann kleine Makrönchen daraus geformt, den Backofen auf 180° vorgeheizt, und eine halbe Stunde eingestellt. Gleich sind sie fertig. Ach ja – den Vorratsschrank habe ich auch aufgeräumt. Er hatte es mehr als dringend nötig.“

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„Ping!“ sagt der Backofen. Die dreissig Minuten sind um. Anatol zieht das Backblech aus dem Ofen und stellt es auf den Herd. Dann muss er – abwarten kann der Saurier nie! – sofort ein Makrönchen probieren.

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Zufrieden schmatzt der Butler seine erste Kokos-Okara-Makrone. „Das nächste Mal bleiben sie 40 Minuten im Ofen. Aber lecker sind sie geworden!“

Ich muss dem zustimmen. Hoffentlich sind morgen noch Makronen vorhanden …

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17. Mai 2016, Nachtrag:

Anatol ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob die Okara-Makronen über mehrere Tage haltbar sind. Er hat sich daher – aufopferungsvoll und aus reiner Vorsicht! – über das Schälchen hergemacht.

Es ist nun fast nichts mehr übrig von den Makrönchen.

Gut, dass wir noch einiges an Okara im Froster haben!

 

155. Kapitel – Unser Freund Pelle

Anatol und Elie finden, dass die Geschichte von Pelle im Blog der Tierklinik der Zwerge nicht richtig zur Geltung kommt. Heute haben sie mich solange gelöchert, bis ich die ganze Geschichte zu einem einzigen Eintrag zusammengefügt und in Anatols Blog eingestellt habe. Hier ist sie nun in ganzer Länge :

1. Elie hat einen Unfall

“Gib mir sofort mein Tablet wieder!” schreit Elie wütend. Sein Ärger richtet sich an Anatol, der das begehrte Tablet seit heute Nachmittag mit Beschlag belegt hat. “Ich muss meine Hausaufgaben fertig machen – morgen muss ich den Aufsatz über die Gebäudeautomation abgeben!”

Anatol – er hatte bisher schmökernd im Dino-Nestchen gelegen – sieht nun tatsächlich von dem Tablet auf und zieht die Augenbrauen hoch. “Du musst – … was?!”

Ich bin ebenfalls perplex. Dass man Schulaufgaben auf einem Tablet erledigt, hatte ich bereits erstaunt zur Kenntnis nehmen müssen – aber was es mit der Gebäudeautomation auf sich hat, das ist sowohl mir als offenbar auch Anatol ganz unerfindlich.

Elie nutzt den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit Anatols, um diesem das Tablet wegzuschnappen und mit einem Satz vom Regal zu hüpfen. Dabei übersieht er, dass Anatols schlampig aufgehängter Schal direkt vor dem Regal baumelt, verfängt sich mit einem Fuß darin – und anstatt mit einem eleganten Satz elastisch auf dem Parkett zu landen, stürzt der kleine Saurier mit wild in der Luft rudernden Armen vom Regal, überschlägt sich einmal – und klatscht der Länge nach auf den Fußboden. Das Tablet kommt etwas weiter scheppernd zum Liegen.

Dies alles passiert innerhalb nur einer Sekunde – Anatol und ich sehen hilflos auf das Geschehen, ohne irgendetwas tun zu können.

Nun stürze ich schreckerfüllt zu Elie, der sich stöhnend aufzurichten versucht. “Bleib liegen, Elie!” ruft Anatol. “Nicht bewegen, das kann gefährlich sein!”

Ich sehe sofort, dass Elies Vorderpfote seltsam abgeknickt absteht. Es gibt keinen Zweifel: die Pfote ist bei dem Sturz gebrochen. Elie wird blass, als er sein Beinchen ansieht – ich fürchte, dass er das Bewusstsein verlieren wird, wenn wir nicht schnell etwas tun.

Leider sind meine Kenntnisse in erster Hilfe rudimentär. Ich rufe Anatol zu, er solle eine Serviette in kaltes Wasser tauchen und mir bringen.

Elie versuche ich, so gut es geht zu beruhigen. Als erstes bitte ich ihn, mir genau zu sagen, wie spät es auf der großen Küchenuhr, die man vom Flur aus sieht, gerade ist. Die Uhrzeit ist mir egal – aber ich will, dass Elie nicht auf seinen gebrochenen Arm starrt. Das klappt sogar: Elie berichtet pflichtbewusst, dass es jetzt 17 Uhr 30 sei.

Mir fällt indessen ein, dass es eine stabile Seitenlage gibt. Richtig, das hatte man beim Erwerb des Führerscheins einstudiert … wie man aber einen Dinosaurier in eine solche Lage bringt – das hatten wir nicht erlernt. Mir gelingt es zwar, Elie auf die Seite zu legen, danach weiss ich jedoch nicht weiter.

“Anatol!” zische ich wütend und hilflos. “Was tun wir jetzt? Wir können den Nottierarzt nicht anrufen, das gibt wieder Probleme!”

Anatol ist aus dem Nest geklettert und hat mir das nasse Tuch gebracht, mit dem ich Elies Stirn kühle. Ratlos kratzt Anatol sich am Kopf.

“Ich rufe die Zwerge an! Etwas besseres fällt mir leider nicht ein.” In diesem Moment bemerke ich, dass Elie noch blasser wird und ihm Schweisstropfen auf der Stirn stehen. Reflexartig lege ich seine Beine höher, dann hole ich den Verbandskasten, entfalte die Rettungsdecke und lege sie über Elie.

Anatol hat nun den Notdienst der Zwergen-Tierklinik erreicht. Der mittlere Zwerg erklärt uns ruhig, was zu tun ist. Elie dürfe weder überhitzen noch auskühlen, die Temperatur sei also zu überwachen. Der Arm bzw. die Vorderpfote solle nur leicht entlastet werden, am besten durch eine Armschlaufe mit einem Dreieckstuch. Sobald das geschehen sei, sollten wir so schnell als möglich in der Klinik vorstellig werden. Man werde dort nun alles für Elie vorbereiten.

Für die Anfahrt gibt uns der mittlere Zwerg noch den Hinweis, diesmal nicht von der “Langen Nacht” aus zur Klinik zu kommen, sondern direkt über den Eberbach. Dieser Weg sei etwas beschwerlicher, aber kürzer. Er werde uns den Luchs zum Eberbach schicken, da das Wildschwein urlaubsbedingt zur Zeit nicht für Krankentransporte zur Verfügung stehe.

Nach dieser Mitteilung im perfekten Bürokratendeutsch legt der Zwerg auf. Ich vermute, dass der administrativ-hoheitliche Stil gewählt wurde, um jede Widerrede gegen den Einsatz des Luchses im Keim zu ersticken.

Der Luchs bereitet nämlich sowohl Anatol und Elie als auch mir eine regelrechte Höllenangst. Woher sollen wir wissen, ob er heute Abend nicht doch hungrig ist?

Mit einem mulmigen Gefühl machen wir uns mit dem Victoria-Fahrrad auf den Weg. Elie liegt angeschnallt auf einem Kissen in stabiler Seitenlage im Fahrradkorb, Anatol sitzt in meinem Rucksack – frech hält er den Kopf über meine Schulter herausgestreckt und tönt laut, er habe “die gesamte Lage im Griff”.

Ich kann mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. Wenn Anatol seinen Schal nicht so nachlässig hätte herumhängen lassen, wäre der Unfall nicht passiert. Aber wenn das Wörtchen wenn nicht wär’ … Unfälle passieren leider.

Ich trete in die Pedale, wie ich nur kann – bald erreichen wir die Schillerwiesen und dann den Hainberg. An der Ecke Hainholzweg-Calsowstraße biegen wir in letztere ein und fahren an den Tennisplätzen vorbei bis zum Reinkeweg. Diesen fahren wir bis zum Eberbach, dem wir links folgen. Bald wird der Weg beschwerlicher. Wurzeln und Unterholz überwuchern den Pfad, der kurze Zeit später ganz unter dem Dickicht verschwindet. Rechts erahnen wir nur die tiefe Schlucht, die der Eberbach hier bildet, aber das Unterholz ist so dicht, dass man sie kaum erkennen kann.

Ich entschließe mich, das Fahrrad an dieser Stelle zurückzulassen und Elie im Korb bis zur Klinik zu tragen. Von Zeit zu Zeit treffen wir auf kleinere Steinanhäufungen – ein geheimes Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg zur Tierklinik sind, weiss Anatol zu berichten.

Die Steine bleiben jedoch nun aus. Entweder haben die Zwerge hier keine Wegweiser mehr angebracht  – oder aber wir sind auf Abwege geraten. Schwitzend bleibe ich stehen und sehe mich um. So weit das Auge reicht, sehe ich grünen Wald um mich herum. Es gibt keinen Pfad und keinen Wegweiser. Wir haben uns verlaufen.

Ein Rascheln dringt aus dem Dickicht zu uns, dann ein leises Fauchen. Das Herz rutscht mir in die Hose. Dass es bitte nicht der schauerliche, furchterregende Luchs sein möge! Anatol verschwindet eilig in den Tiefen meines Rucksacks und zerrt von innen den Reissverschluss zu.

Indessen schleicht geschmeidigen Schritts der Luchs  aus dem dichten Unterholz hervor.

Artig setzt er sich vor uns hin. Sicher fällt ihm auf, dass nicht nur ich, sondern auch mein Rucksack vor Angst schlottern. Einzig Elie in seinem Korb zittert nicht, da er den Luchs noch nicht gesehen hat.

“Guten Abend” sagt der Luchs höflich. Seine Pinselohren sind aufmerksam nach oben gerichtet – bei Katzen (und, so hoffe ich, auch beim Luchs) ein Zeichen von freundlicher Aufmerksamkeit. Ich bemerke jedoch, dass die Schwanzspitze des Luchses ein winziges bisschen hin- und herzuckt. Dies zeigt, dass nicht nur wir, sondern auch der Luchs etwas aufgeregt ist.

“Bitte folgt mir möglichst zügig” weist uns die riesige Katze an. “Der mittlere Zwerg sagte, es sei Eile geboten. Der kleine Dinosaurier muss schnellstens behandelt werden. Ich zeige Euch deshalb eine Abkürzung.”

Der Luchs scheint ehrlich besorgt um Elies Wohl. Dies erfüllt mich mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Ich sage dem Luchs, wie hoch ich es ihm anrechne, dass er sich so hilfsbereit und freundlich uns gegenüber verhalte.

Der Luchs schüttelt den Kopf. “Das ist doch ganz selbstverständlich.”

Hier meldet sich mein Rucksack zu Wort. Aus seinem vermeintlich sicheren Versteck heraus kräht Anatol frech “Sag bloß, Du würdest uns nicht am liebsten fressen!”

Wie vom Schlag getroffen bleibe ich stehen. Ich versetze dem Rucksack einen festen Knuff und zische: “Ruhe da drinnen!” Dann stammele ich eine Entschuldigung – und stelle mich auf einen Angriff des Luchses ein. Wäre es denkbar, auf eine der umstehenden Buchen zu klettern? Aber wie – mitsamt dem Fahrradkorb, in dem Elie liegt?

Allen bösen Erwartungen zum Trotz geschieht nun etwas ganz Erstaunliches. Der Luchs seufzt wie aus Überdruß und schüttelt den Kopf.

“Nein, ich will Euch nicht fressen. Erstens, weil ich gar keinen Hunger habe. Vorhin habe ich nämlich ein riesiges Abendessen von den Zwergen bekommen. Aber auch, wenn ich hungrig wäre, wollte ich Euch nicht fressen.”

Ich bin perplex. Sprachlos stehe ich da und höre dem Luchs weiter zu.

“Der kleine Dino da im Korb, der wäre ganz ungenießbar. Diese Tiere sind für einen Luchs keine Beute. Ich vermute, dass das für das freche Exemplar im Rucksack auch zutrifft.”

Ich fühle förmlich, wie Anatol gerade puterrot wird.

“Tja, und Menschen, wie Dich …” – der Luchs sieht nun mich an – “… also die fresse ich auch nicht. Menschen greifen wir Luchse sowieso nur an, wenn sie uns bedrohen. Aber sie dann fressen…? Wisst Ihr eigentlich, wie schwer – ja geradezu unmöglich – es ist, Bio-Mensch zu finden? Heutzutage gibt es das nicht mehr. Menschen sind voller Antibiotika und anderer Medikamente, oft mit Hormonen gespritzt. Und wenn es ganz schlimm kommt, sind auch noch Anabolika drin. Wenn ich so etwas fressen würde, könnte ich gleich die Klinik-Apotheke leerfuttern.”

Bekümmert sieht der Luchs zu Boden. “Ich will mich ja nicht vergiften. Ihr könnt ganz sicher sein, dass ich Euch schon aus diesem Grund nichts tun werde.”

Ich wage es nicht, mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Zitternd vor Angst stehe ich vor dem Luchs, meinen rosa Rucksack auf dem Rücken und den Fahrradkorb in der Hand … ich bin noch nie in einer solchen Situation gewesen und weiss nicht, wie ich mich nun verhalten soll.

Der Luchs seufzt und fährt fort “Ja, und dann ist da noch das Misstrauen der Anderen. Niemand möchte etwas mit mir zu tun haben. Alle haben Angst vor mir – sogar das Wildschwein. Dabei kann sogar ein gesunder, starker Luchs es kaum mit einem Wildschwein aufnehmen – dann ich erst … Und damit die Tiere und Menschen hier keine Angst mehr vor mir haben, versuche ich nicht einmal mehr, zu jagen. ”

Betrübt sieht der Luchs an sich herunter. Nun fällt es mir wieder ein: der Luchs war in eine Falle geraten und hatte sich die Pfote so verletzt, dass ein dauerhafter Schaden geblieben war, den auch die Zwerge nicht hatten beheben können.

“Ich kann mich zwar immer noch anschleichen, aber nicht mehr springen. Wann ich meine letzte Beute erlegt habe, weiss ich nicht einmal mehr. Ich werde von den Zwergen gefüttert – sonst wäre ich wohl längst verhungert. Trotzdem möchte niemand mein Freund sein. Wie einsam mein Leben oft ist, könnt Ihr Euch nicht vorstellen.”

Entschlossen dreht sich der Luchs um und läuft weiter. Er humpelt tatsächlich ein wenig. “Wir sind fast da” kündigt er uns an. Offenbar möchte er jetzt nicht weiter mit uns sprechen.

Aus seinem Transportkorb heraus ruft Elie laut “Luchs, das stimmt nicht, was Du eben gesagt hast. Ich möchte gern Dein Freund sein! Wenn ich Dich besser kennen würde, hätte ich bestimmt keine Angst mehr vor Dir.”

Der Luchs dreht sich um. Ungläubig sieht er uns an. Aus meinem Rucksack heraus tönt es, etwas erstickt: “Ich auch! Luchs, ich glaube ich könnte mich auch an Dich gewöhnen.”

Ich nicke dem Luchs zu. “Das gilt auch für mich.”

Der Luchs flüstert leise “Ich danke Euch”, dann läuft er weiter. Kurze Zeit später stehen wir vor der Klinik, wo Elie sofort vom kleinen und mittleren Zwerg in Empfang genommen wird.

Die Krähe als Ober-Krankenpfleger erklärt uns, dass Elie nun in Narkose gelegt und gleich operiert werde. Ein Krankenzimmer, in dem wir für die kommende Nacht auch untergebracht wären, sei schon für Elie hergerichtet.

Erleichtert, dass Elie nun in guten Händen ist, setzen wir uns auf die Bank im Wartezimmer. Der schöne Wartegarten fällt uns ein – heute muss man darin einen sehr angenehmen Tag verlebt haben, da es, obwohl November, wunderbar warm und sonnig gewesen war. Nun ist es allerdings schon Nacht.

Anatol quengelt leise “Ich hab Hunger!” – und auch mir knurrt der Magen. Seit der große Zwerg in Rente gegangen ist – er steht der Klinik nur noch als medizinischer Berater bei sehr schwierigen Fällen zur Verfügung – hat er gleich neben dem Klinikgebäude ein Restaurant eröffnet. Dies sei seit langem sein Traum gewesen: eine kleine aber feine Gastwirtschaft, in der er selbst der Koch sei.

Wir entschließen uns, beim großen Zwerg in der Hainbergschänke “Villa Vera” einzukehren. Unser Wirt serviert Anatol und mir je ein riesiges alkoholfreies Bier, dann verschwindet er in der Küche, um dort wunschgemäß Spiegeleier mit Bratkartoffeln für uns zuzubereiten. Ausnahmsweise essen wir heute nur vegetarisch, nicht vegan – der heutige Tag war außergewöhnlich genug, um eine solche Abweichung von unseren Gewohnheiten zuzulassen.

Anatol lässt die Geschichte des Luchses keine Ruhe. “Wie traurig das klingt, was er uns erzählt hat! Ob wir ihm helfen können? Wo ist er eigentlich geblieben?”

Ich erkläre Anatol, dass ein Luchs keine Schmusekatze ist wie unsere kleinen Freunde, die Katzen. Der Luchs ist ein wildes Tier – ein Raubtier – das sich Menschen normalerweise gar nicht zeigt. Deshalb habe sich der Luchs vermutlich zurückgezogen, als wir an der Klinik angekommen seien.

Über das ganze Gesicht strahlend bringt uns der große Zwerg unser Abendessen. Zu Bratkartoffeln und Spiegelei serviert er frisches Gersterbrot, selbstgeschleuderte Butter und einen großen Salat.

Schmatzend vor Genuß fragt Anatol “Können wir nicht öfter hier einkehren? Es schmeckt köstlich!” Der große Zwerg ist in der Tat ein begnadeter Koch – er erzählt uns, dass alle Zutaten aus eigener Herstellung stammen. Nur so könne er sicher sein, dass alles seinen hohen Qualitätsanforderungen entspreche.

Ich bringe nun das Gespräch auf den Luchs.

Der große Zwerg seufzt. “Unser Luchs. Ja, er ist ein echter Problemluchs. Hier im Hainberg kann er – selbst wenn er jagen könnte – im Grunde nicht überleben. Der Wald ist nicht groß genug für ein solches Raubtier, und Menschen sind auch fast überall anzutreffen. Da er behindert ist und gar nicht auf Jagd gehen kann, füttern wir ihn hier. Er hat seinen Unterschlupf hinter dem Restaurant am Schuppen. Wir dachten, er würde sich hier gut einleben. In gewisser Weise hat er das auch – aber die anderen Tiere begegnen ihm mit Misstrauen. In letzter Zeit wirkt er sehr unglücklich – das ist mir auch aufgefallen.”

Anatol will dem Luchs heute Abend unbedingt noch gute Nacht sagen – ob das eine gute Idee ist, weiss ich nicht.

Nach dem Essen gehen wir daher, nicht ohne ein flaues Gefühl in der Magengrube, zum Schuppen hinter der Hainbergschänke.

“Lu-huchs…” flüstert Anatol. “Bist Du da…?” Ich packe Anatol am Schlafittchen und gebe zu bedenken, dass der Luchs sicher schon schlafe und in Ruhe gelassen werde wolle.

Eine rauhe Stimme ertönt. Es ist der Luchs. “Es ist nett, dass Ihr vorbeikommt. Nein, ich schlafe nicht. Normalerweise würde ich jetzt draußen im Wald jagen. Wir Luchse sind nachtaktive Tiere. Aber das ist für mich vorbei. Sagt, wie geht es dem kleinen Dinosaurier?”

Wir berichten, dass Elie operiert wurde und dass wir nun in die Klinik zurück wollen, um dort hoffentlich zu erfahren, wie alles verlaufen sei. Vielleicht sei Elie sogar schon im Krankenzimmer beim Aufwachen?

“Geht schnell zu Eurem kleinen Freund” sagt der Luchs. “Freunde und Familie, das ist das Wichtigste im Leben.”

Wir versprechen dem Luchs, am nächsten Tag noch einmal bei ihm vorbeizusehen. Dann gehen wir.

Als wir wieder am Restaurant des großen Zwergs angelangt sind, hören wir den Luchs uns nachrufen: “Ich bin Pelle. Pelle, der Luchs.”

Wir drehen uns um und winken dem Luchs zu. “Schlaf gut, Pelle” flüstert Anatol mit Tränen in den Augen.

Als wir Elie noch immer fest schlafend und mit einem riesigen Gipsarm im Krankenzimmer liegen sehen, sieht Anatol mich an. “Wir müssen etwas für Pelle tun. Und ich glaube, ich habe eine Idee.” Dann legt er sich neben Elie ins Krankenbett, zieht das Tablet, das der Spitzbube doch tatsächlich mitgenommen hatte, hervor und vertieft sich eine Lektüre, die er mir nicht zeigen will.

Ich schlüpfe unter die Decke des improvisierten Feldbetts, das die Zwerge mir hingestellt haben und schlafe sofort ein.

Am nächsten Morgen bin ich noch vor Sonnenaufgang wach. Elie wimmert leise in seinem Bettchen. “Mein Arm tut so weh” weint er.

Ich drücke den Notknopf, der neben Elie auf dem Bett liegt – und kurze Zeit später betritt das Kaninchen das Zimmer. “Wie geht es uns denn heute?” fragt es beflissen.

Uns geht es überhaupt nicht!” zetert Elie. “Aber mir, mir geht es absolut gräßlich!”

Das Kaninchen versteht. Es nickt. “Ich bringe Dir etwas gegen die Schmerzen.” Es verlässt das Zimmer und kommt fast augenblicklich mit einem kleinen Becher, in dem eine rosa Pille liegt, sowie einer Kanne zurück. Die Kanne entpuppt sich als Behältnis von Hagebuttentee. Ich erschauere.

Anatol flüstert “Das müssen wir doch nicht trinken, oder?” Das Kaninchen hat mit seinen großen Ohren alles gehört. “Doch, das müsst Ihr” sagt es trocken. “Das gehört zur Klinikverpflegung dazu. Seid froh, dass ich Euch nicht den Kaffee gebracht habe!”

Elie schluckt nun brav seine Tablette. Appetit hat er gar keinen.

Aus Solidarität trinken Anatol und ich eine Tasse Hagebuttentee mit. Ich schüttle mich. Insgeheim nehme ich mir vor, später ein richtiges Frühstück beim großen Zwerg zu ordern. Ich sehe Anatol an, dass er meinen Gedanken erraten hat.

Kurze Zeit später stehen Anatol und ich vor der Hainbergschänke und bestellen ein Frühstück mit Croissants, Brötchen – und echtem Tee.

Der große Zwerg schmunzelt “Ihr habt meine selbstgekochte Marmelade noch nicht probiert, nicht? Die bringe ich Euch gleich.”

Ein Anflug von Misstrauen bringt mich auf den Verdacht, die Klinikverpflegung sei möglicherweise absichtlich so ungenießbar – damit der große Zwerg seine Speisen noch besser an den Patienten bringen könne. Als ich indessen den herrlich gedeckten Frühstückstisch sehe, verfliegt jeder Argwohn. Anatol sitzt bereits mitten auf dem Tisch und löffelt Marmelade und Honig.

“Ich glaube, hier ist das Schlaraffenland” ruft er fröhlich.

2. Kapitel – Auf der Suche nach Pelles Zuhause

Ein paar Tage später darf Elie die Zwergenklinik verlassen. Dank des eindrucksvollen Gipsverbands um seinen Arm wird er bei Anna als Held auftreten können. Stolzgeschwellt schlenkert er seinen Gipsarm vor sich her.

Anatol ist seit unserem Abend in der Hainbergschänke in seinen Computer versunken. Stundenlang sucht er das Internet ab, sagt aber nicht, wonach. Von Zeit zu Zeit gibt er ein unwilliges Knurren von sich – und haut dann in die Tasten, dass es kracht. Wenn der Saurier in dieser Stimmung  ist, stört man ihn besser nicht.

Heute früh scheint Anatol jedoch bester Laune. Als ich wie üblich um 5 Uhr 30 die Küche betrete, ist der Saurier bereits wach und hat einen starken Kaffee aufgebrüht. Oder ist er etwa gar nicht ins Bett gegangen?

Anatol beantwortet meine stille Frage: “Ich habe die ganze Nacht im Internet gesurft. Und ich habe endlich die Lösung für Pelle gefunden. Hier!”

Aufgeregt streckt er mir das Tablet entgegen. Dort sehe ich die Webseite des Luchsprojekts Harz. Ich bin sprachlos – es gibt ein Luchsprojekt? Davon habe ich noch nie gehört. Sofort vertiefe ich mich in die Homepage. Dort lese ich, dass das Luchsprojekt Harz sich um die Wiederansiedlung des europäischen Luchses im Harz kümmert – ich bin sehr beeindruckt:

Die intensive Verfolgung durch den Menschen führte vor rund 200 Jahren in Mitteleuropa zum Aussterben des Eurasischen Luchses. In den 1970er Jahren wurden die Bemühungen verstärkt, die verbliebenen Vorkommen der Tierart zu schützen. Wiederansiedlungsprojekte in einigen europäischen Staaten führten zur Etablierung kleinerer Luchs-Populationen insbesondere im Alpenraum aber auch z.B. im deutsch/tschechischen Grenzbogen.

Noch sind diese Luchsvorkommen relativ klein und nicht alle stehen in Verbindung miteinander. Weitere Wiederansiedlungsprojekte und Maßnahmen, die es großen Wildtieren ermöglichen auch über weite Entfernungen durch unsere Kulturlandschaft zu wandern, können helfen nicht nur das Überleben des Luchses zu sichern.

Mit dem Luchsprojekt Harz wurde Anfang 2000 erstmals in Deutschland ein Wiederansiedlungsversuch für die größte europäische Katze gestartet.

Zwischen Sommer 2000 und Herbst 2006 wurden im Nationalpark Harz insgesamt 24 Luchse (9 Männchen und 15 Weibchen) in die Freiheit entlassen. Alle ausgewilderten Tiere sind Gehegenachzuchten aus europäischen Wildparks, die vor der Freilassung in einem vier Hektar großen Auswilderungsgehege im Nationalpark in den neuen Lebensraum eingewöhnt worden waren.

Anatol unterbricht ungeduldig meine Lektüre. “Ich bin sicher, dass Pelle ursprünglich von dort kommt! So weit ist der Harz nicht von der Tierklinik entfernt… Pelle muss immer weitergewandert sein, bis er schließlich in diese schreckliche Falle geriet. Zum Glück war er da schon in der Nähe der Klinik. Wer weiss, was sonst aus ihm geworden wäre …”

Ich sehe vom Tablet hoch. “Wir müssen Pelle in den Harz zurückbringen! Dort ist seine Heimat… ich bin sicher, dass er dort auch versorgt wird. Er kann ja nicht selbst jagen. Dort wäre er endlich wieder unter seinesgleichen!”

Anatol nickt. “Genau das ist auch meine Idee. Nun müssen wir das nur noch Pelle vorschlagen. Hoffentlich möchte er überhaupt wieder dorthin zurück …”

Nun kommt Elie in die Küche – den Gipsarm wie eine Monstranz vor sich hertragend.

“Ihr wollt Pelle bis in den Harz bringen? Wie soll denn das gehen? Ins Fahrradkörbchen passt er jedenfalls nicht!”

Dies stimmt allerdings. Für Pelle werden wir eine Mitfahrgelegenheit brauchen, sprich: ein Auto, denn mit der Bahn werden wir Pelle nicht transportieren können. Aber ob ein Luchs überhaupt Auto fährt? Und wo soll Pelle “zusteigen”? Die Tierklinik ist mit dem Auto nicht zu erreichen …

Anatol errät meine Gedanken. “Beim Transport müssen uns die Zwerge helfen. Die werden schon eine Idee haben. Hoffe ich jedenfalls! Wir können eventuell das Carsharingauto für den Transport verwenden, was meint Ihr…?”

Auf diese Frage gibt Wikipedia eine klare Antwort:

Mit einer Kopfrumpflänge zwischen 80 und 120 Zentimetern und einer Schulterhöhe von 50 bis 70 Zentimeter ist der Luchs die größte Katze Europas.

In Mitteleuropa wiegen männliche Luchse, die in der Jägersprache auch als „Kuder“ bezeichnet werden, je nach Region im Durchschnitt zwischen 20 und 25 Kilogramm, wobei besonders leichte Exemplare nur 14 Kilogramm wiegen und sehr schwere Tiere ein Körpergewicht von 37 Kilogramm erreichen können.

Um Pelle, bei dem es sich um ein “ziemlich großes Exemplar” handelt, zu transportieren, werden wir also mindestens einen Kleintransporter benötigen. Der arme Kerl soll sich auf der Reise in den Harz schließlich nicht zu beengt fühlen. Eine Autofahrt mit einem Luchs-Passagier, der einen klaustrophobischen Anfall erleidet, möchte ich mir nicht vorstellen.

Bevor wir der Luchsumsiedelung indessen näher treten, müssen wir Pelle fragen, ob er überhaupt in den Harz möchte. Vielleicht hat er sich ja nun doch so im Hainberg eingelebt, dass er gar nicht mehr weg will?

Am frühen Vormittag wählt Anatol die Telephonnummer der Tierklinik. Die Ameise hebt vorschriftsmäßig ab.

“Sie sind mit der Zentrale der Tierklinik der Zwerge verbunden. Wie kann ich Ihnen helfen?”

Anatol erklärt der Ameise, dass er mit Pelle, dem Luchs sprechen wolle. Ob sie ihn bitte ans Telephon holen würde? Er könne auch etwas später wieder anrufen, wenn sie den Luchs nicht gleich finden würde …

“Bitte nicht auflegen!” schnarrt die Ameise in den Hörer. Dann hört man ein leises Schaben – das Insekt krabbelt offenbar das Telephon herunter. Dass man dies durch den Fernsprecher mitbekommt, ist eine technische Meisterleistung, die wir Mina zu verdanken haben. Sie hatte bei einem ihrer Besuche das Telephon auf die leise Stimme der Ameise eingestellt, die man oft kaum hatte verstehen können.

Bange Minuten des Wartens verstreichen. Ist Pelle überhaupt da? Seine Streifzüge durch den Wald können sich über Tage hinziehen – das haben wir auf der Webseite des Luchsprojekts gelesen …

Dann vernehmen wir ein Klappern – der Hörer wird aufgenommen. Eine riesige Pranke scheint das Gerät zu umklammern, dann erklingt eine rauhe, wohlbekannte Stimme:

“Hier spricht Pelle. Pelle, der Luchs. Sie haben nach mir geschickt? Wer ist am Apparat, bitte?”

Anatol hüpft vor Freude mit dem Telephon durch den Flur. “Huhu Pelle! Hier ist Anatol! Wir haben Neuigkeiten für Dich!”

Atemlos erzählt Anatol dem Luchs von seiner Idee. Von Pelles alter Heimat im Harz, vom Luchsprojekt, dem Luchsgehege, in dem er immer Futter finden würde… und vor allem von den anderen Luchsen, die dort ebenfalls lebten: Pelles Familie!

Als Anatol Luft holen muss, ist Stille am anderen Ende der Leitung. “Pelle?” fragt Anatol. “Bist Du noch da?”

Er schüttelt den Hörer – und vernimmt plötzlich ein markerschütterndes Schreien, das aus der Tierklinik zu kommen scheint. “Hilfe! Hilfe!” kreischt es durch die Leitung, während wildes Getrappel und Gelärme im Hintergrund ertönt. Dann scheint ein offenbar größerer metallischer Gegenstand mit Getöse zu Boden zu gehen, woraufhin ein entsetztes Quieken erklingt.

“Pelle, was ist los?!” ruft Anatol erschrocken ins Telephon.

“Ich rufe zurück!” seufzt der Luchs – und legt auf.

Anatol guckt ratlos in den Hörer, als ob er darin sehen könnte, was eben geschehen ist. Dann legt er auf und sieht zu mir hoch. “Was ist da nur… Ist da eine Bombe hochgegangen?” weint er los. Ich kann mir keinen Reim auf das seltsame Vorkommnis machen. Es bleibt uns nicht anderes übrig, als auf Pelles Rückruf zu warten …

Da! Das Telephon schrillt. Anatol reisst den Hörer ans Ohr – es ist Pelle!

“Ich bin nach nebenan in die Schänke des großen Zwergs gegangen. Hier gibt es auch ein Telephon, unten direkt vor den Toiletten.”

Pelle stößt einen tiefen Seufzer aus. “Die Patienten im Wartezimmer drüben in der Klinik haben mich gesehen, wie ich an der Aufnahme stand und mit Euch telephoniert habe … ein krankes Kaninchen muss bei meinem Anblick sehr erschrocken sein, und das hat bei den anderen Patienten zu einer Massenpanik geführt …”

Pelle klingt resigniert. “Dabei habe ich mich dem Wartezimmer nicht einmal genähert. Das Kaninchen, die Mäusefamilie, der Fuchs und die Waldtaube sind aber so in Angst und Schrecken geraten, dass sie bei ihrer überstürzten Flucht  aus dem Wartezimmer alles umgerissen haben und auf dem Gang eine Transportliege mit einem darauf gebetteten verletzten Siebenschläfer umgeworfen haben.

Wisst Ihr … eigentlich wollte ich vorhin sagen, macht Euch keine Mühe mit mir und lasst mich im Hainberg weiter vor mich hinleben. Aber das Vorkommnis eben … das war zu viel. Ich möchte weg von hier. Alle Tiere haben Angst vor mir, und ich kann es einfach nicht ändern.”

Hier versagt dem Luchs die Stimme. Er beginnt zu weinen. Mit letzter Kraft schafft er es noch, zu schluchzen: “Ich warte in der Nähe der Langen Nacht auf Euch. Dort könnt Ihr mich abholen. Bitte kommt bald!”

Bevor Pelle auflegt, ruft Anatol noch ins Telephon: “Halt durch, Pelle! Wir holen Dich morgen da ab!”

Dann sieht Anatol mich ratlos an. “Schaffen wir das überhaupt – ihn morgen abzuholen und in den Harz zu bringen …?”

Ich rufe die Webseite des Carsharings auf und suche nach dem Kleintransporter, den wir für unsere letzte große Entrümpelungsaktion genutzt hatten und in dem wir Kubikmeter von Dingen zum Emmaüs gebracht hatten. Dieses Auto, so scheint mir, sollte groß genug sein, um Pelle in den Harz zu bringen.

Kurze Zeit später ist das Auto reserviert. Als wir es abholen, um es für die Reise unseres Luchses vorzubereiten, fällt uns auf, dass auch der hintere Teil  des Transporters Fenster hat – und daher von außen gut einsehbar ist.

Anatol kratzt sich am Kopf. “Das ist ungünstig,” meint er. “Was, wenn wir mal anhalten – oder tanken … dann kann jeder da reingucken und Pelle sehen. Wir müssen Pelle tarnen. Aber wie? Mit einer Decke vielleicht?”

Ich halte das für keine gute Idee. Pelle wird unter der Decke noch recht gut zu erkennen sein – und wenn wir in eine Verkehrkontrolle geraten, bei der man uns fragt, was für einen riesigen Gegenstand wir denn da unter der Decke haben … mir graut allein bei dem Gedanken daran.

Elie hat die rettende Idee. “Wir verkleiden Pelle einfach als sehr großen Hund – warum nicht als Labrador? Ich kann Pelle ein paar ganz tolle Labrador-Ohren häkeln! Das haben wir letzten Sommer in der Amnestygruppe bei “Häkeln für den Frieden” gelernt! Anna hatte ganz tolle Katzenohren, und ich hatte Drachenohren. Aber jetzt kann ich für Pelle Schlappohren häkeln. Dann sieht niemand, dass er ein Luchs ist!”

Anatol stößt ein gequältes Lachen aus. Er ist nicht überzeugt von der Idee.

Elie fragt pikiert “Hast Du denn eine bessere Idee?” – dies ist nicht der Fall. Einen Einwand hat Anatol allerdings: “Wie willst Du mit Deinem Gipsarm eigentlich häkeln?”

Elie wird puterrot. Sein Gips, auf den er so stolz ist, wird nun zum Problem: daran hatte er offenbar nicht einmal gedacht. Glücklicherweise hat er eine Lösung in petto: Mina kann den Faden halten, während er mit dem Häkelhaken hantiere… so müsse es klappen!

Während Anatol und ich Decken und Kissen zusammensuchen, um eine Art “Luchsbettchen” im hinteren Fahrzeugteil zu bauen, ziehen Mina und Elie sich in ihr Zimmer zurück und beginnen mit Feuereifer, zu häkeln.

An diesem Abend gehen wir früh ins Bett –  aber schlafen können wir vor Aufregung nicht. Erst kurz vor dem Morgengrauen finde ich etwas Schlaf.

Bald klingelt der Wecker. Unser Luchs-Abenteuer beginnt.

3. Kapitel – Pelle kehrt heim: Die Fahrt zur Rabenklippe

Es ist empfindlich kalt geworden. Als Anatol, Elie, Mina und ich das Haus im Morgengrauen verlassen, weht uns ein eisiger Wind entgegen. Anatol zieht sich den Kapuzenschal tief ins Gesicht. Beklommen sieht er mich an. Auch mir ist nicht wirklich wohl zumute. Tun wir gerade das Richtige? Aber es ist zu spät für derlei Überlegungen: Pelle wartet am Treffpunkt auf uns.

Im Auto ist es so kalt, dass man seinen Atem sehen kann. Das Lenkrad ist eisig – ich behalte meine Handschuhe an. Neben mir auf dem Beifahrersitz haben sich Anatol, Elie und Mina dicht aneinander gekuschelt – vor Kälte zitternd drücken sie sich gegeneinander.

Endlich springt der Motor an. Wir haben eine lange Reise vor uns.

Unsere erste Etappe ist die Tankstelle in Kehl. Hier tanken wir das Auto auf, prüfen den Reifendruck, säubern die Windschutzscheibe und kaufen eine Packung Kaugummi. Kaugummi ist ein wichtiger Proviant und darf auf keiner Reise fehlen.

Dann starten wir in Richtung Hainberg. Unser Auto – ein Kleintransporter – fühlt sich bis Tempo 90 wohl – fahren wir schneller, beginnt das Fahrzeug klagende Laute auszustoßen und sich zu schütteln. Daher zockeln wir mit 90 Stundenkilometern auf der Kriechspur gen Norden.

Als wir Frankfurt erreichen, ist es schon Nachmittag. Ich bin so müde, dass ich einen Rastplatz ansteuere. Ich verriegle das Auto von innen und setze mich auf den Beifahrersitz, dessen Lehne ich so weit wie möglich herunterschraube. Dann weise die Butler an, mich nicht zu stören – und schlafe augenblicklich ein.

Als ich erwache, ist alles um mich herum dunkel. Wie lange muss ich geschlafen haben? Ich reibe mir die Augen. Dann merke ich, dass wir nicht mehr auf dem Rastplatz stehen, sondern dass das Auto offenbar fährt – und zwar gelenkt von Mina! Entsetzt schüttle ich mich – ich muss noch schlafen und dies alles träumen! Aber nein: Mina sitzt tatsächlich am Lenkrad: wir fahren!

Wo sind die Butler? Ich werfe einen bangen Blick nach links – da sitzen sie: Elie im Fußraum an Gaspedal, Bremse und Kupplung, Anatol am Schaltknüppel! Ich will gerade vor Schreck laut aufschreien, da befiehlt Mina mit ruhiger Stimme: “Bitte hochschalten in den 5. Gang. Dann beschleunigen auf 90 km/h. Geschwindigkeit beibehalten. Wir erfahren zur Zeit keine Turbulenzen. Danke!”

Fassungslos sehe ich Elie mit aller Kraft seinen Gipsarm auf das Kupplungspedal drücken, während Anatol den Schaltknüppel in die Position “5. Gang” bringt. Dann lässt Elie das Pedal behutsam zurückkommen und drückt gleichzeitig aufs Gaspedal. Als die 90 Stundenkilometer auf dem Tacho erreicht sind, meldet Mina “Wir haben unsere Höchstreisegeschwindigkeit erreicht. Bitte so beibehalten. Ende der Durchsage. Danke!”

Ich ergebe mich meinem Schicksal, schließe die Augen und stelle mich schlafend. Das offenbar eingespielte Pilotenteam möchte ich auf keinen Fall durcheinanderbringen. Wo haben die Biester das Autofahren gelernt? Ich nehme mir vor, nach dieser Reise genauere Nachforschungen anzustellen.

Wir befinden uns noch auf der Autobahn – das stelle ich beim vorsichtigen Blinzeln fest. Da stockfinstere Nacht ist, scheint den uns überholenden Fahrern nicht aufzufallen, dass eine winzige Stoffkuh unser Auto lenkt. Vielleicht denken die anderen Autofahrer aber auch, der Lieferwagen sei eine englische Konstruktion – mit dem Steuerrad auf der rechten Seite.

Wie spät mag es sein? Ich schiele hinüber auf das Armaturenbrett: 21 Uhr 50 – bald zehn Uhr. Wie kann ich so lange geschlafen haben? Ich muss vollkommen übermüdet gewesen sein. Bald nicke ich wieder ein. Das Auto scheint in guten Händen…

Gegen Mitternacht reisst mich eine erneute Meldung von Mina aus dem Schlaf. “Wir nähern uns nun dem Hainberg. Links befinden sich die Schillerwiesen. Ich erbitte Lotsenweisung!”

Ich entschließe mich, so zu tun, als sei nichts normaler, als von einer schwarz-weissen Stoffkuh und zwei Plüschdinosauriern nachts durch die Gegend kutschiert zu werden und bemerke “Bitte gleich links in die Calsowstraße einbiegen. Dann scharf rechts, und dann geradeaus – bis zur Langen Nacht.”

Kurze Zeit später sind wir dort. Die Lange Nacht ist indessen – wie ihr Name bereits vermuten lässt – lang. Auf welcher Höhe wartet Pelle auf uns? Wir sehen uns unschlüssig an.

Anatol meint, wir sollten das Auto am Wegrand abstellen und aussteigen. Bestimmt würde uns Pelle als echter Luchs sofort wittern. Mina möchte nun lieber in meinen Rucksack klettern, ebenso Elie und sogar Anatol. Sicher ist sicher.

Wir verlassen das Auto. Kühle, feuchte Waldluft, die wir durstig einatmen, weht uns entgegen. Wir entscheiden uns, den Waldweg zu nehmen und tiefer in den Wald vorzudringen. Pelle kann nicht weit sein.

Der Wald schläft nie. Nachts erwacht ein unbekanntes Leben – mit all seinen Geräuschen und  Regungen… Ein Käuzchen ruft – ein zweites anwortet. Der klagende Laut lässt uns erschauern. Da – ein Rascheln neben uns… dann knackt etwas. Tief im Wald ertönt das Kreischen von Nachttieren.

Ein raues, heiseres Flüstern ertönt. “Ich bin hier. Ich – Pelle!” Aus dem Dunkel des Waldes löst sich ein riesiger Schatten und kommt näher.

Pelle steht vor uns – und erscheint mir größer denn je. Ob es die späte Stunde, der lange Weg und nun die Nachtwanderung durch den verwilderten Hainberg ist – ich weiss es nicht: das Herz rutscht mir tief in die Hose, als ich den riesigen Luchs so nah vor mir sehe. Die Saurier und Mina im Rucksack schlottern vor Angst, das spüre ich deutlich sogar durch meinen dicken Wintermantel hindurch.

Mit zitternder Stimme sage ich “Guten Abend Pelle! Wir sind endlich da… möchtest Du wirklich mit uns mitkommen…?

Gefasst nickt der Luchs. “Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid. Ihr seid meine einzigen, echten Freunde. Danke.”

Ich schäme mich zutiefst, dass ich immer noch Angst vor Pelle habe. Aber mit seiner Rumpfhöhe von 70 cm ist der Luchs ein sehr eindrucksvolles Tier.

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Anatol fasst sich ein Herz und hüpt aus dem Rucksack heraus. “Pelle, es ist toll, dass Du da bist! Komm mit – da vorn steht das Auto. Wir haben Dir ein richtig schönes, weiches Bettchen vorbereitet!”

Unschlüssig sieht Pelle uns an. “Ein Bettchen…? Ich weiss nicht genau, was das ist?”

“Das macht nichts, dass Du das nicht weisst. Aber es gefällt Dir bestimmt!” piepst Mina mutig aus dem Rucksack heraus.

Pelle nickt. “Sicher werde ich es mögen. Wenn Ihr es mir doch zurechtgemacht habt!”

Der Luchs folgt uns bis zum Auto, und ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen, steigt er in den Fond. Er spürt die weiche Decke unter seinen Pranken und brummt zufrieden “Und ob mir das gefällt!”

Dann rollt er sich auf dem improvisierten Luchs-Bettchen zusammen, schließt die Augen und flüstert “Ihr könnt losfahren.”

Ich setze mich ans Steuer und bin froh, die Macht über das Fahrzeug wieder zurückgewonnen zu haben. Eine Polizeikontrolle mit Mina am Steuer und Anatol sowie Elie an Kupplung und Gangschaltung – nein, das mag ich mir nicht vorstellen. Zumal im Fond nun der brav schnarchende Luchs liegt.

Unser Weg führt uns über Northeim, Seesen und Goslar bis nach Bad Harzburg. Dort steuern wir die Rabenklippe am Luchsgehege an. Als ich Anatol anweise, mir den genauen Weg auf der Karte herauszusuchen, hebt Pelle den Kopf und spitzt die Pinselohren. Unruhig rutscht er auf seinem Kissen hin und her.

Gehege sagst Du…? Davon war bisher nicht die Rede. Ich lasse mich auf keinen Fall in einen Käfig sperren!”

Der Luchs fährt die riesigen Krallen aus und schlägt sie in den Gummibelag des Fonds. Dann lässt er ein leises, aber deutlich zu vernehmendes Knurren hören.

Etwas zittrig erläutert Elie, dass es sich bei dem “Gehege” nicht um einen Käfig handele. Es sei vielmehr der Teil des Luchsprojekts, an dem Besucher manche Luchse bei der Fütterung beobachten könnten – wenn die Luchse sich denn zeigen wollten. Wir steuerten diesen Teil des Nationalparks an, weil sicher sei, dass Pelle dort zu fressen finden würde.

Lautlos zieht der Luchs seine Krallen aus der Verkleidung. Das Knurren verstummt. “Bitte entschuldigt, meine Freunde. Ich bin sehr aufgeregt, und weiss nicht, wie mein neues Leben aussehen wird. Deshalb reagiere ich ungehalten, wenn ich etwas nicht richtig einordnen kann. Ich bitte Euch, mir das nachzusehen.”

Anatol nickt dem Luchs zu. “Ich kann Dich verstehen, Pelle. Aber ich bin sicher, dass es Dir dort gefallen wird.”

Sind wir wirklich sicher? Ich selbst habe alles andere als Gewissheit über die Zukunft von Pelle. Ich verscheuche die Zweifel. Erste Schilder weisen auf das Luchsgehege hin – und auf den Gasthof Rabenklippe, der allerdings jetzt (es ist mittlerweile 3 Uhr früh) noch nicht geöffnet ist.

Mir fallen die Augen zu, als ich einen etwas versteckten Rastplatz kurz vor der Rabenklippe ansteuere. Hier möchte ich, bevor wir Pelle in die Freiheit entlassen, noch kurz ausruhen. Ich parke den Wagen an einer wenig einsehbaren Stelle, schalte den Motor und das Licht aus und lehne mich zurück. “Wir fahren bald weiter”, sage ich und schließe die Augen.

Ein nachdrückliches Klopfen ans Fenster lässt mich aufschrecken. Neben dem Auto steht jemand und bedeutet mir, das Fenster zu öffnen. Mein Herz setzt einen Moment aus.

Bei der Dame an der Fahrertür handelt es sich um eine Streifenpolizistin. Der Streifenwagen parkt hinter uns, ein Kollege steht einsatzbereit daneben. Wie erkläre ich den Ordnungshütern, was ich mit einem ausgewachsenen Luchs im Fond mitten in der Nacht auf diesem Parkplatz will?

Langsam kurbele ich das Fenster herunter. Währenddessen bemerke ich, dass die Saurier und Mina flugs nach hinten den Fond klettern. Mina zischelt Elie zu “Die Ohren! Hol die Häkelohren aus dem Rucksack!”

Die Polizistin bittet mich höflich, aber bestimmt um die Fahrzeugpapiere. Ich krame nervös im Handschuhfach und präsentiere einen Haufen eselsohriger Dokumente. Ängstlich erkläre ich, dass es sich um ein Mietauto handele, weshalb ich auch nicht im Fahrzeugschein genannt sei.

“So so, ein Mietauto. Ihren Ausweis und Führerschein, bitte.”

Eilig erkläre ich, dass ich als im Ausland wohnhafte Deutsche keinen Personalausweis, wohl aber einen gültigen Reisepass besäße. Mit zittrigen Händen strecke ich der Polizistin alles entgegen. Sie studiert jedes Papier genauestens, dann gibt sie mir die Dokumente zurück.

“Darf ich fragen, was Sie um diese Uhrzeit hier tun?”

Was tut jemand wie ich um 3 Uhr morgens auf einem verlassenen Rastplatz am Harz? Ich stottere… dass wir die ganze Nacht durchgefahren seien, um ganz früh morgens – im Morgengrauen sozusagen! – das Luchsgehege zu besuchen, und ich nun noch etwas Schlaf habe finden wollen, bevor es  auf die Wanderung am Luchsgehege gehen solle…

Unsicher blicke ich in das Gesicht der Polizistin. Die Unwahrheit sage ich nicht, die ganze Wahrheit aber auch nicht. Glaubt mir die Gesetzeshüterin?

“Sie sagen ‘wir‘. Ist denn noch jemand mit Ihnen angereist?”

Siedend heiss fällt mir ein, dass die Saurier und Mina keine Mitreisenden sind, die ich der Polizistin vorstellen kann. Ich druckse unschlüssig herum – da wirft die Dame einen Blick in den Fond und erblickt das riesige Tier. Sie knipst ihre Taschenlampe an und leuchtet nach hinten ins Auto. Das ist das Ende, denke ich.

“Ist das Ihr Hund?” fragt die Polizistin. “So ein großes Tier habe ich selten gesehen.” Und etwas misstrauisch: “Was ist das denn für eine Rasse?”

Ich drehe mich um und sehe einen sich verzweifelt schlafend stellenden, zusammengerollten Eurasischen Luchs mit Häkelschlappohren.

Wenn man dies indessen nicht weiss, kann man Pelle mit seinen Hängeohren tatsächlich für einen Hund halten. Ich räuspere mich und sage mit belegter Stimme “Das ist Pelle – ein Hovawart-Malinois-Labrador-Mischling.”

Leise, aber mit Nachdruck füge ich hinzu: “Er ist zwar sehr lieb, mag aber von Fremden überhaupt nicht angefasst werden.”

“Hat Pelle denn auch Papiere dabei?” fragt die Polizistin streng. “Sie wissen ja, dass das Vorschrift ist.”

“Ja”, lüge ich. “Pelle hat natürlich Papiere …” Ostentativ beginne ich, in meinem Rucksack zu kramen, der auf dem Beifahrersitz liegt, während ich fieberhaft nach einer Ausrede suche. Selbstverständlich hat Pelle keine Papiere – woher auch.

Nun vernehme ich ein leises Raunen aus dem Fond. “Ich habe den EU-Ausweis von Edwige mitgenommen! Im Rucksack vorn!” Mina ist einfach unbezahlbar.

“Da haben wir die Papiere – bitte schön!” Triumphierend überreiche ich der Polizistin einen blauen EU-Heimtierausweis.

Stirnrunzelnd blättert die Beamte in dem Dokument. “So, Pelle heisst also Edwige, ist eine getigerte Hauskatze und wiegt 5 kg…?”

Sie gibt mir den Ausweis zurück und kratzt sich am Kopf. Dann wendet sie sich an ihren Kollegen: “Horst, nehmen wir den Hund in Gewahrsam? Es wird kein gültiger Ausweis mitgeführt.”

Horst tritt einen Schritt zurück. “Du kannst dieses Riesentier gern mitnehmen. Aber dann gehst Du mit ihm zu Fuß zur Wache. Du weisst doch, dass ich Angst vor Hunden habe!”

Ich fange derweil das Bitten und Betteln an. “Ich muss mich vertan haben! Das ist der Impfpass meiner Katze Edwige. Man muss mir zu Hause den falschen Pass mitgegeben haben …”

Die Polizistin nimmt ihr Handy. Sie werde auf der Wache anrufen und um Verstärkung bitten. Nachdem sie die Nummer mehrfach eingegeben hat, ist klar, dass der Anruf nicht ankommen wird: wir haben kein Netz.

Der Streifenwagen verfügt hingegen über einen Fernsprecher. Diesen könnte – und müsste – sie nun von Rechts wegen betätigen, sagt die Polizistin uns. Seufzend fügt sie hinzu, sie wolle uns unseren Wochenendausflug aber nicht gänzlich verderben – und trägt uns auf, schnellstens einen gültigen Heimtierausweis für Pelle zu beschaffen, diesen immer mitzuführen und Pelle nur angeleint und mit Maulkorb aus dem Auto zu lassen.

Dann steigt sie in den Streifenwagen, in den sich ihr hundephobischer Kollege bereits geflüchtet hatte, und fährt weg – während ich den Ordnungshütern erleichtert nachwinke.

Kaum sind die Polizisten außer Sichtweite, falle ich in mich zusammen. Anatol kriecht stöhnend unter dem Fahrersitz hervor. “Das war knapp!” ächzt er.

Pelle reisst sich die Häkelohren vom Kopf und beginnt, sich im Fond um sich selbst zu drehen. “Ich will raus!” ruft er. “Ich war noch nie so lange in einem so kleinen Raum. Lasst mich raus, schnell!”

Der Luchs scheint den beengten Raum nicht mehr zu ertragen  – ich springe aus dem Auto und öffne die Tür zum Fond. Mit einem riesigen Satz springt der Luchs aus dem Fahrzeug heraus und verschwindet im Wald.

Anatol, Elie und Mina stürzen aus dem Auto heraus – aber Pelle ist weg. Ich setze mich in den Schotter des Parkplatzes und verberge mein Gesicht in den Händen. Elie beginnt zu schluchzen, während Anatol und Mina hinter Pelle her in den Wald laufen.

Tief am Horizont leuchtet leise ein erster Morgenstrahl auf.

Ich verschließe das Auto, setze Elie in den Rucksack und dringe meinerseits in den tiefen Wald ein.

Kurze Zeit später hat uns das Dickicht so verschluckt, dass weder der Rastplatz noch das Auto zu sehen sind. Anatol und Mina sind nicht weit vor uns – wir hören ihr atemloses Flüstern.

Aber wo ist Pelle?

Wir stolpern weiter durch das Unterholz – und befinden uns endlich auf einer Lichtung. Mitten auf dem lichten Waldstück steht Pelle – die Nase flehmend im Wind. Er hebt die Tatze und ruft uns zu: “Ich kann die anderen Luchse wittern. Es ist nicht mehr weit bis nach Hause. Ich danke Euch, meine Freunde. Ich muss Euch nun verlassen. Lebet wohl!”

Ein letztes Mal winkt uns der Luchs zu. Dann dreht er sich um und verschwindet lautlos im Wald.

Ob wir ihn jemals wiedersehen werden?

Übermüdet, schweigsam und seltsam gedrückt kehren wir zum Rastplatz zurück. Elie verkriecht sich wortlos im Rucksack, Anatol und Mina kuscheln sich in das nun verlassene Luchsbettchen und schlafen ein.

Ich setze mich ans Steuer und fahre bis zum Gasthof Rabenklippe. Als dieser endlich öffnet, bestelle ich ein reichhaltiges Frühstück und einen starkem Kaffee.

Die Luchsfütterung verschlafe ich am Frühstückstisch.

Am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Rückweg. Reden möchte zunächst niemand.

Mina spricht endlich das aus, was wir alle fühlen. “Ob Pelle seine Familie wiederfindet? Wird er dort glücklich werden?”

Wir wünschen es Pelle von ganzem Herzen.

Epilog

Zwei Jahre später – es ist ein milder Sommerabend, wir sitzen auf dem schattigen Balkon und genießen die Abendluft – fliegt die Krähe der Tierklinik auf die Balkonbrüstung. Sie hält ein zusammengefaltetes Papier im Schnabel, spuckt es uns vor die Füße (die Krähe hat zuweilen ein etwas rudimentäres Benehmen) und schnarrt “Post von Pelle!” – Mit einem schneidigen “Und Tschüss!” hebt sie ab und gleitet durch die Lüfte zurück in Richtung Hainberg.

Elie hebt das Papier auf und reicht es Anatol, der es auffaltet.

Das Blatt ist nicht beschrieben, aber seine Aussage ist klar. Fünf Pfotenabdrücke sind darauf zu sehen: der einer riesigen Pranke, die wir als Pelles erkennen. Daneben eine nur unwesentlich kleinere, aber zartere, feinere Tatze – und darunter drei winzige Pfötchen, die mit etlichen Kleksen und Verschmierungen garniert sind.

Pelle, da sind wir sicher, hat sein Glück gefunden.

 

 

154. Kapitel – Rogan Josh by Anatol

Zu meinem Geburtstag vor ein paar Tagen hat mir meine Mama mit Hilfe meiner Schwester ein großartiges Geschenk gemacht: einen emaillierten gußeisernen Bräter in der „Anatol-Farbe“ Basilikumgrün.

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Der Saurier hat sich das herrliche Utensil sofort unter den Nagel gerissen. Abwaschen, Abtrocknen und Wegräumen des Bräters – darum dürfe ich mich kümmern. Die noblere Aufgabe der Zubereitung von feinsten Gerichten in diesem Rolls-Royce der Haute cuisine, das obliege einzig und allein dem Chef – mithin Anatol.

Seufzend hatte ich mein Geburtstagsgeschenk dem Butler überlassen. Ich hatte den Bräter noch ausspülen und trocknen dürfen, danach war ich der Küche verwiesen worden. Mit dem Laptop hatte der Saurier sich dort eingeschlossen – dann war längere Zeit nur leises Rumoren aus des Untiers Allerheiligstem zu vernehmen.

„Susanne!“ ruft der Butler schließlich im Befehlston. „Ich brauche Dich zum Gemüseschneiden. Komm sofort her!“

Ich weiss, dass das Tier nun keine Widerrede duldet. Neugierig, wie wohl mein schöner Bräter eingesetzt werden mag, betrete ich die Küche.

Anatol weist mich an, Kartoffeln, Paprika und Tomaten zu waschen und in kleine Viertelchen zu schneiden. Er selbst springt zwischen dem Laptop und der kleinen Casserolle, in der er offenbar eine Marinade zubereiten will, hin- und her.

Während ich das Gemüse abwasche, schiele ich auf den Bildschirm des Laptops. Dort lese ich „Rogan Josh“ und „Jamie Oliver“. Die Webseite ist auf Englisch – versteht der Butler das denn überhaupt ausreichend? Dann sehe ich, dass das Rezept ein Lammfleisch-Curry ist. Was hat der Saurier sich denn dabei nur gedacht?!

Anatol errät meine Gedanken. „Keine Sorge, wir essen kein Fleisch. Ich habe das Rezept etwas abgewandelt – so wird es sogar vegan. Fleisch kommt mir nicht auf den Teller. Schließlich bin ich ein reiner Pflanzenfresser. Anstelle von Lammfleisch nehmen wir einfach Kartoffeln.“

Dann vertieft er sich wieder in das Rezept – jedes zweite Wort auf leo.org nachschlagend. Kann das etwas werden…?

Gerade versuche ich, das kompliziert klingende Rezept nachzuvollziehen, da flucht das Untier laut auf. „Ingwer! Frischer Ingwer soll da auch rein – den habe ich aber nicht im Haus. Susanne, haben wir noch Ingwerpulver?“ Ich schüttle den Kopf. Der Saurier setzt zu einer Schimpfkanonade an – dann verstummt er. „Ich habe noch etwas Zitronensaft. Das kann vielleicht den Ingwer … nun vielleicht nicht ersetzen, aber doch einen etwas exotischen Geschmack dazugeben. Könnte klappen …“

Dann zückt er das kleine Fläschchen, in dem er den Zitronensaft aufbewahrt, und gießt ihn in die Casserolle, in die er bereits Unmengen von kleingehacktem Knoblauch geworfen hat:

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Was für ein Gemisch soll das nur geben? Bang versuche ich, das Rezept nachzulesen und zu verstehen – dies gelingt indessen nicht.

Anatol schnappt sich das gestern frisch angesetzte Sojajoghurt aus dem Kühlschrank und gibt 4 große Esslöffel davon in die Casserolle. Dann streut er einen Teelöffel Kurkume darüber und vermischt Knoblauch, Zitronensaft, Kurkume und Joghurt miteinander zu einer Marinade, in die ich die Kartoffelviertelchen geben darf.

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Die kleine Casserolle bekommt einen Deckel aufgesetzt und kommt in den Kühlschrank.

Dem Rezept entnehme ich, dass das Ganze über Nacht marinieren soll – hierfür ist aber keine Zeit, denn wir wollen ja das Curry (sollte es denn ein solches werden) heute Abend essen …

Knapp erklärt Anatol, es reiche aus, wenn die Kartoffeln nur eine Stunde in der Marinade eingelegt blieben. Da sei er sich ganz sicher!

Ich bin weniger sicher, äußere mich aber lieber nicht. Wenn der Butler erst einmal in Aktion ist, kann man ihn nicht bremsen!

Nun wird endlich der Bräter – oder sollte man nicht eher „Schmorpfanne“ sagen? – eingesetzt. Mit etwas Olivenöl brät Anatol zwei klein geschnittene Zwiebeln an, dann darf ich die Paprikastückchen und die Tomatenviertelchen hinzugeben.

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„Das muss jetzt schmoren!“ erklärt der Saurier und entfernt sich aus der Küche – das Überwachen des Bräters überlässt er wortlos mir.

Ich vertiefe mich indessen in das Rezept. Entsetzt stelle ich fest, dass – zusätzlich dazu, dass das darin verwendete Fleisch durch Kartoffeln ersetzt wurde – Anatol überhaupt nichts so zubereitet hat, wie das Rezept es vorsieht. Offenbar ist es unter des Sauriers Würde, einfach nur ein Rezept nachzukochen. Was werden wir heute Abend zu essen bekommen? Schon die Gewürze, die das Rezept aufzählt, sind gar nicht vorhanden. Wir haben weder frischen Koriander noch Kardammom, geschweige denn eine Zimtstange, Paprikapulver oder Sesamöl. Von den weiteren geforderten Zutaten haben wir eigentlich gar nichts im Haus. Doch- Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten. Diese sollen aber eigentlich zu einer Paste gemixt werden: auch das hat der Butler nicht getan.

Was hat er sich hier nur gedacht?

Händereibend betritt der Saurier die Küche. Als erstes lüpft er den Deckel der Sauteuse, wie der Bräter hier heisst. „Fein!“ meint er. „Jetzt können die Kartoffeln dazu.“ Dann holt er die in dem Knoblauch-Joghurt-Mix eingelegten Kartoffeln aus dem Kühlschrank und löffelt das Ganze in den Bräter.

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Zum Schluß gibt er noch etwas von unserer Rogan Josh-Paste von Pataks dazu und schließt den Deckel wieder.

Dann befiehlt er mir, das von ihm „ganz allein erdachte Rezept“ hier im Blog aufzuschreiben.

Da ich nicht lügen möchte, lege ich unter lautem Protestgeschrei des Sauriers die Wahrheit offen. Das Ursprungsrezept stammt von dem nicht unumstrittenen englischen Starkoch Jamie Oliver. Anatol hat im Grunde nichts von dem Rezept beachtet und dankenswerterweise das Lammfleischgericht in ein veganes Essen verwandelt. Nur den Namen (Josh Rogan) hat er übernommen.

Anatol behauptet, er habe aus dem Rezept erst ein perfektes Curry gezaubert.

Ich hingegen frage mich, ob der Butler – des Englischen nicht wirklich mächtig – einfach alles nur falsch verstanden hat.

Geschmeckt hat es aber trotzdem!

 

 

 

153. Kapitel – Der Müllsheriff goes Zero Waste

Frankreich ist das Land der Plastiktüte. Allgegenwärtig, unumgänglich – ja geradezu unausweichlich umgibt uns das Kunststoffutensil, wohin wir uns auch begeben. Kaum ein Baum der Stadt trägt keinen Tütenschmuck in seiner Baumkrone. In den nun wieder belaubten Wipfeln sieht man die weissen, blauen oder gelben Flecken weniger. Bei jedem Einkauf wird indessen fleissig für Nachschub gesorgt: Tüten über Tüten füllen sich mit Obst, Gemüse und Krempel, um kurze Zeit später im Abfall zu landen.

Anatol hat beschlossen, hiergegen zu Felde zu ziehen (wir berichteten). Seit Tagen surft er im Internet auf den einschlägigen No-Waste-Minimalismus-Seiten – grummelnd und sich nachdenklich am Kopf kratzend.

Heute endlich vermeldet der Saurier freudig und lautstark, er habe den Stein der Weisen gefunden – in Form der Webseite „Zero Waste Home“. Dort heisse es, eine vierköpfige Familie könne bei klugem Wirtschaften nurmehr ein kleines Bügelglas Abfall produzieren – und zwar pro Jahr!

Es sei nun alles daran zu setzen, dies auch zu erreichen. Schließlich seien wir bei unserem Vorstoß gegen den Müll schon weit gediehen. Bestimmt sei es möglich, ebenso müllarm zu leben wie die Leute von „Zero-Waste-Home“! Mit der Methode der „5R“ („Refuse, Reduce, Reuse, Recycle, Rot“ – auf Deutsch: „Verweigern, Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln, Kompostieren“) würden wir erfolgreich zum Null-Müll-Haushalt werden – da sei er sich sicher.

Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen hoch. Zwar stellt Anatol seit einigen Wochen sehr erfolgreich seine eigene Sojamilch sowie ein etwas gewöhnungsbedürftiges „Joghurt“ her. Wir brauchen so weder abgepacktes Sojajoghurt noch Milch im Tetrapak. Die Mülltütenlage allerdings ist immer noch unbefriedigend – haben wir doch noch keine wirkliche Lösung für unseren Hausmüll gefunden. Und wenn ich an die Unmengen des Verpackungsmülls denke, der uns umgibt, wage ich, Zweifel an dem „kleinen Bügelglas Müll pro Jahr“ anzubringen.

Unsere Realität sieht nämlich so aus:

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Unumgängliche Papier- und Plastikverpackungen, Broschüren, die sich weiterhin in den Briefkasten verirren, Briefumschläge, Mehltüten, Medikamenten-Pappschächtelchen, Kassenzettel und und und … all diese Dinge sammeln sich ganz von allein an und ergeben nach gut zwei Wochen den bekannten, bewährten und gut gefüllten gelben Sack, der  dienstags von der Müllabfuhr abgeholt wird.

Anatol entgegnet hierauf, er werde in den kommenden Wochen den gesamten Papier- und Plastikmüll einer Expertise unterziehen und Stück für Stück festhalten, wie man diesen überflüssigen Abfall reduzieren könne.

Aber wie halten wir es mit dem Hausmüll? Diesen sammeln wir immer noch in einer Plastiktüte – eine Papiertüte kommt hierfür nicht in Frage, da sie von den Obst-, Gemüse- und Teeresten wohl bald durchweicht wäre.

Anatols Antwort auf dieses Dilemma heisst Kompostieren. Seit einiger Zeit durchsucht der Saurier das Internet nach wohnungstauglichen Kompostiermethoden. Die bisher interessanteste Lösung ist eine Wurmkiste. Für diese braucht man nur ein paar Kompost-Regenwürmer (nicht die „normalen“ Regenwürmer, die wir von draußen kennen!), eine spezielle Kistenvorrichtung – und Haushaltsabfälle wie Obstschalen, Teeblätter, Kaffeesatz (letzteres scheint eine Lieblingsspeise unserer fleissigen kleinen Freunde zu sein, konnten wir im Internet lesen). Hat man die Wurmkiste aufgebaut und die Würmer einziehen lassen, muss man sie nur noch mit den gewünschten Abfällen füttern, und das Biomüll-Problem ist gelöst.

Elie hat sich indessen bisher erfolgreich gegen die Installation der Wurmkiste gewehrt. „Ich ziehe dann aus! Würmer finde ich eklig!! Und sicher kommt mich Anna dann nie wieder besuchen!“ hatte er voller Angst krakeelt.

Zumindest seine schlimmste Befürchtung, Anna nie wieder einlanden zu können, bewahrheitet sich nicht: Annas Familie ist deutlich fortschrittlicher als wir und hat bereits einen gut funktionierenden Wurmkompost.

Sobald eine geeignete Ecke für die Wurmkiste gefunden und freigeräumt ist, werden wir dem Biokompost nähertreten. Wir sind sehr gespannt.

Ob wir den Anforderungen des „Zero-Waste-Home“ gerecht werden, ist jedoch noch unsicher.

 

 

152. Kapitel – Der Schnellkochtopf

Anatol ist kategorisch. Wer Strom beim Kochen sparen will, braucht eine Cocotte minute – einen Dampfdruckkocher. Das in Deutschland geradezu verpönte, da als gefährlich empfundene Gerät ist bei unseren französischen Freunden weit verbreitet. Kaum eine Küche in Frankreich kommt ohne das zeit- und energiesparende Utensil aus.

Warum sollten wir darauf verzichten?

Nach einer regelrechten Schnellkochtopf-Odyssee, die uns einen ganzen Tag lang beschäftigt (mehrere Kocher sind beschädigt und müssen umgetauscht werden) halten wir unseren Dampfkochtopf endlich in Händen.

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Wie nutzen wir ihn?

Die Gebrauchsanleitung ist außerordentlich technisch gehalten und erlaubt uns nicht, mit Sicherheit festzustellen, ob wir bei der Inbetriebnahme wirklich alles richtig gemacht haben.

Dennoch entschließen wir uns, heute mittag unsere ersten Dampf-Pellkartoffeln in dem schönen Dampfkocher zuzubereiten.

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Die Kartoffeln kommen in das Dampf-Körbchen, dazu 500ml Wasser. Dann schließen wir den Topf und schalten die Kochplatte ein.

Elie ist bereits zur Tür herausgeschlüpt – er fühlt sich bei Anna im Nachbarshaus nun sicherer.

Anatol meint, der Topf mache ja alles ganz von selbst. Er zieht sich daher mit einem Buch in sein Nestchen zurück.

Ich bleibe allein – mit dem Schnellkochtopf. Was nun? Zunächst geschieht: gar nichts. Ich studiere die Gebrauchsanleitung ein weiteres Mal – ohne neue Erkenntnisse.

Da – ein Zischen ertönt! Vorsichtig spähe ich um den Kühlschrank herum und stelle fest, dass ausgerechnet aus dem Sicherheitsventil Dampf entweicht. Ist das normal? Das User Manual sagt dazu nichts. Ich ziehe mich in den Flur zurück – hier bin ich jedenfalls ganz sicher.

Der Topf beginnt nun, immer lauter zu zischen. Muss ich den Strom runterschalten? Darf ich mich dem Gerät überhaupt nähern? Unschlüssig sehe ich Anatol an, der beklommen aus seinem Nestchen schaut.

„Wir können immer noch den Hauptschalter betätigen…“ meint der Saurier.

Nun zischt und pfeift der Top in kurzen Abständen. Ich stelle mit zitternden Händen die Kochzeit ein: 10 Minuten.

Anatol schleicht sich todesmutig an die Kochplatte heran und dreht den Strom herunter. Dennoch brauset und zischt das Gerät weiter – während Anatol und ich angstbebend im Flur in Deckung verharren.

Das Handy klingelt: 10 Minuten sind um.

Ich wage mich in die Küche und nehme den Topf von der Kochplatte. Anatol zieht das Ventil hoch: ein letztes Zischen ertönt – dann herrscht Stille.

Ich ziehe meine Motorradjacke und die Handschuhe an. Den Helm lasse ich weg – ein wenig zu peinlich ist mir das doch.

Dann öffne ich den Schnellkochtopf. Dabei passiert – nichts. Der gesamte Dampf ist durch das Ventil entwichen und das Gerät ist vollkommen entschärft.

Am Boden des Dampfdrucktopfes erwarten uns die leckersten Pellkartoffeln, die wir seit langem gegessen haben. Sie sind gar, fest und haben den perfekten Pellkartoffelgeschmack, den Anatol mit etwas Salz, Pfeffer und Walnussöl noch verfeinert.

Wir sind mit unserem neuen Topf sehr zufrieden!

151. Kapitel – Der Fall des Öko-Gurus: Joghurt-Miseren

Bedröppelt schaut der Saurier in die Joghurtmaschine.

Anstelle eines glatten, festen, weissen Joghurtblocks grinst ihm die hässliche Fratze unserer ersten Joghurt-Havarie entgegen:

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Was ist geschehen?

Heute früh hatte Anatol die selbstgemachte Sojamilch mit einem letztens hergestellten wunderbar festen Sojajoghurt vermischt und in die Joghurtmaschine gestellt.

Beides – Sojamilch und „Starterjoghurt“ – kamen aus dem Kühlschrank. Anatol hatte die beiden Zutaten erst auf Zimmertemperatur erwärmen wollen, aber ich hatte vorgeschlagen, die Joghurtmaschine einfach eine Stunde länger laufen zu lassen – was der Saurier dann unter leisem Protest getan hatte.

Nun, acht Stunden später, haben wir den Salat: geronnene, phasengetrennte Sojamilch:  klare, molkeartige Flüssigkeit als obere Schicht, heller Sojaschlamm auf dem Boden.

„Ihhhh ist das eklig!“ zetert Elie. „Das ess ich jedenfalls nicht!“

„Papperlapapp!“ grummelt Anatol, sichtlich enttäuscht von der Sojamisere. Er zückt einen Teelöffel, nachdem er vorsichtig an der unappetitlich aussehenden Masse geschnuppert hatte.

„Riechen tut es prima!“ vermeldet der Saurier. Dann probiert er etwas von der Flüssigkeit, die er vorher umgerührt hat.

„Es schmeckt wie sehr dünnflüssiges Joghurt!“ Freudig schlürft der Butler den Teelöffel aus. „Ist eindeutig essbar. Vielleicht können wir es im Müsli als Milchersatz verwenden und so immerhin aufbrauchen.“

„Ich vergifte mich doch nicht mit Euren Experimenten!“ Elie ist empört. „Guck doch wie fies das aussieht! Diese ekligen kleinen Stücke in der Pampe da – nee ich ess das nicht!“

Anatol muss zugeben, dass das Ergebnis optisch kein Bringer sei. Weggeworfen werde hier jedoch nichts, was noch gut sei. Von „vergiften“ können keine Rede sein. Einzig Konsistenz und Optik seien nur suboptimal gelungen – der Geschmack sei wie immer „eins A“.

Das verunglückte Joghurt bekommt einen Deckel und wandert flugs in den Kühlschrank.

Dann beratschlagen wir.

Was ist schiefgegangen? Was hat das Missgeschick verursacht? Anatol vertieft sich ins Internet und die einschlägigen Blogs und Foren – und findet ähnliche Misserfolge bei der Joghurtherstellung aus selbstgemachter Sojamilch. Wie kann das sein?

Wir werden weiter forschen.

Für heute bleibt uns nur, die Joghurt-Misere in den Mixer zu befördern und zu versuchen, zumindest eine etwas homogene „Soja-Sauermilch“ herzustellen.

Wir werden berichten.

 

150. Kapitel – Öko-Guru Anatol: wir kochen Sojamilch

Vor kurzem hatten wir von Anatols Joghurt-Experimenten berichtet. Wie ist es damit weitergegangen?

Leider muss ich sagen, dass Anatols Ergebnisse mit der Heizungs-Methode alles andere als zuverlässig sind. Mal schmeckt das Joghurt wunderbar, dann wieder ist es alkoholisch bizzelig und ungenießbar.

Nachdem Anatol diverse Joghurtversuche in der Mülltonne versenkt hatte, waren wir zähneknirschend zu der Erkenntnis gekommen, dass eine Joghurtmaschine her muss. Für diese hat Anatol sich entschieden:

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Anatols Joghurts sind seither ein Hochgenuss – nach gewissen Abenteuern mit unterschiedlichsten Joghurtkulturen. Mit den Yalacta-Kulturen aus der Apotheke haben wir nun unser Glück gefunden.

Aber wie kommen wir weg von den Tetra-Packs, in denen unsere Sojamilch schlummert?

Anatol hat beschlossen, einen Versuch zu wagen: und zwar will er Sojamilch einfach aus Sojabohnen selber herstellen. Ob das gut geht…?

Im Bioladen findet Anatol geschälte Sojabohnen. Das ist wichtig: ungeschälte Bohnen, so heisst es im Internet, sorgen für einen strengen Geschmack der Sojamilch und infolgedessen für eine schlechte Compliance beim Patienten – pardon, beim Sojamilchtrinker. Auf gut Deutsch: die Milch schmeckt dann so scheußlich, dass sie niemand trinken mag. Das wollen wir natürlich nicht.

Nach eifrigem Studium der einschlägigen Webseiten hat Anatol eine gute Anleitung für die Herstellung der Sojamilch gefunden.

Zunächst werden die Bohnen über Nacht eingeweicht (ganz einfach im Glas mit viel Wasser):

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Am nächsten Morgen macht Anatol sich an die Arbeit mit den Sojabohnen. Die eingeweichten Bohnen werden gewaschen und in einem großen Topf für anderthalb Stunden gekocht.

Meine Bemerkung, stromsparend sei die Sache wohl nicht, straft Anatol mit Nichtbeachtung. Mit Argusaugen überwacht er den Topf, in dem seine Sojabohnen köcheln und macht sich in der Küche zu schaffen.

Stören darf man den Saurier jetzt nicht.

Als die schier unendliche Kochzeit um ist, baut der Butler unseren Mixer auf und füllt eine relativ kleine Menge der gekochten und noch einmal gründlich gewaschenen Sojabohnen ein. Wasser kann man mit dem Rezept leider ebenfalls nicht sparen – dies verkneife ich mir jedoch, dem am Mixer hantierenden Saurier mitzuteilen.

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Die Bohnen werden etwa drei Minuten ganz fein gemixt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

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Die nächsten Schritte sind so aufwendig und machen so viel Dreck, dass wir in Zukunft darauf verzichten werden:

Die Milch, in der noch winzige Sojastückchen schwimmen, soll laut Rezept abgeseiht werden. Dies stellt sich als eine riesige Schweinerei heraus, da die Milch nicht durch das Passiertuch hindurchfließt. Auf Verlangen des Sauriers, der sich seine Pfötchen nicht schmutzig machen möchte, muss ich das Tuch mitsamt Inhalt auswringen – dies sollte nur mit frisch gewaschenen Händen stattfinden.

Nach einigen Anstrengungen ist die Milch im Glas:

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Der im völlig verschmierten Passiertuch noch vorhandene Rückstand heisst Okara und kann zu leckeren Dingen weiterverarbeitet werden. Leider ist unser Okara untrennbar mit dem Passiertuch verbunden. Unter dem lauten Protestgeschrei des Butlers wasche ich das Tuch aus – wir werden in Zukunft ein feines Sieb verwenden und das Okara gebührend weiterverarbeiten.

Wie schmeckt die selbstgemachte Sojamilch?

Anatol findet sie göttlich. Ich würde ihren Geschmack, wenn das Untier nicht mit dem Nudelholz neben mir lauerte, als gewöhnungbedürftig bezeichnen – auf keinen Fall aber als ungenießbar.

Anatol meint, man dürfe durchaus etwas Zucker oder Agavendicksaft in die Milch geben, um sie noch schmackhafter zu machen.

Fazit: der Arbeitsaufwand ist groß, der Geschmack annehmbar. Ich werde mit den Sauriern die Anschaffung eines Getreidemilch-Automaten erörtern. Vielleicht lohnt sich eine solche für uns?

Hier noch einmal alle Arbeitsschritte und das Rezept, welches inspiriert wurde von www.mehr-als-rohkost.de

  • Im Bioladen geschälte Sojabohnen kaufen; wir haben 500g gekauft, damit kommt man recht weit.
  • Etwa zwei Handvoll Sojabohnen über Nacht einweichen lassen (man kann aber auch deutlich mehr nehmen – siehe unten)
  • Am nächsten Morgen die Bohnen gut waschen und in einem Topf anderthalb Stunden kochen. Das ist wichtig, weil die Bohnen sonst unbekömmlich sind und Bauchschmerzen verursachen.
  • Die gekochten Bohnen in den Mixer tun, mit etwa drei mal soviel Wasser wie Bohnen.
  • Mindestens drei Minuten mixen, bis alles schön „glatt“ ist.

Den folgenden Schritt werden wir demnächst nicht mehr durchführen (wir werden uns nach einem sehr feinen Sieb umsehen; das Passiertuch gibt wirklich eine sehr große Schweinerei):

  • Die Sojamilch aus dem Mixer durch ein Passiertuch abseihen

Nun kommt die Sojamilch in eine Flasche und dann in den Kühlschrank. Sie hält sich gekühlt etwa eine Woche, sagt Anatol.

Je nach Gusto kann man sie mit Zucker, Agavensaft oder Ahornsirup verfeinern.

Um Strom zu sparen, hat Anatol gleich eine große Menge Sojabohnen eingeweicht und gekocht. Die überschüssigen gekochten Bohnen hat er eingefroren; ob das eine gute Idee ist, wird sich bei der nächsten Sojamilch-Aktion zeigen.

Viel Spaß beim Sojamilchherstellen!

Nachtrag: heute waren wir bei dm und haben Rohrzucker (Bio Vollrohr-Zucker) gekauft. Mit diesem lässt sich unsere Sojamilch tatsächlich in etwas verwandeln, das man durchaus als lecker bezeichnen könnte! Von unseren weiteren Sojamilch-Experimenten werden wir berichten!